×

Sein Möbel ist preisgekrönt, seine Zukunft ungewiss

Eben hat er für seinen Salontisch einen Talentpreis und die Auszeichnung als «Schreiner-Nachwuchsstar» bekommen: Qerim S. Gelernt hat der 27-jährige Zürcher sein neues Metier in Graubünden – in der Justizvollzugsanstalt Realta.

Südostschweiz
02.11.13 - 01:00 Uhr

Von Jano Felice Pajarola

Cazis. – Es war ein hartes Stück Arbeit, gut 60 Stunden war er insgesamt dran, schätzt er. Hart auch das Holz, Ahorn, «extrem hart, das war schon schwierig.» Drei Monate hat er es vor dem Verleimen in der Werkstatt akklimatisieren lassen, damit es sich nicht mehr verzieht. Das fertige Möbel sollte dereinst in der Stube seiner Mutter stehen, im Kanton Zürich, dort, wo er, abgesehen von seinen kosovarischen Wurzeln, herkommt. «Ich habe sie gefragt: Was kannst du brauchen? Weil ich ja bald fort muss aus der Schweiz. Etwas von mir Gemachtes sollte bei ihr bleiben.» Es wurde ein Salontisch. Und es wurde noch viel mehr für ihn, Qerim S., 27 Jahre alt, Insasse der Justizvollzugsanstalt Realta in Cazis.

Am Anfang, so schildert es Qerim S., steht ein Notwehrdelikt. Er kommt in Zürich in Untersuchungshaft, später, die Richter haben inzwischen ihr Urteil gefällt, nach Realta, um seine Strafe abzusitzen. Er informiert sich schon im Voraus im Internet: Was erwartet mich da in Graubünden? Und sieht: In der Strafanstalt gibt es eine Schreinerei. «Ich habe sofort gewusst: Da möchte ich arbeiten. Ich wollte etwas tun.»

«Er hat die Monate hier genutzt»

Die Anstalt Realta bietet in mehreren Bereichen die Möglichkeit, eine Lehre zu absolvieren. Auch in der Schreinerei. «Und ich habe schnell gesehen: Qerim S. ist körperlich geeignet – und er hat den nötigen Willen», sagt Markus Balzer. Seit bald 20 Jahren leitet er die Schreinerei, und der junge Zürcher avanciert bald zum vierten Insassen in dieser Zeit, für den er auch Lehrmeister wird. Für eine volle Ausbildung reicht es nicht, Qerim S. muss «nur» zwei Jahre in Realta im offenen Vollzug bleiben und danach das Land verlassen. Aber es genügt, um so genannter Schreinerpraktiker mit Attest zu werden.

«Er hat die Monate hier wirklich genutzt», meint Balzer. «Er hat viel Talent, Freude und Ehrgeiz in sich.» Qerim S. beweist das nicht nur mit seiner Abschlussnote 5,7. Er zeigt es auch an der Berufsschule. Möbel für die Fachmesse Holz in Basel sind gesucht, die Jungschreiner machen sich daran, Objekte zu entwerfen, auch Qerim S. Er zeichnet Skizze um Skizze, «Wochen ging es, bis ich das Design hatte», erzählt er. «Ich wollte etwas Schlichtes, aber auch etwas Aussergewöhnliches, das nicht aussieht wie ab Fabrik.»

Holz wird zu seinem Element

Er leimt die Hölzer, Stück um Stück, sägt und schleift, schier endlos, immer mehr wird das Möbel zu dem, was er auf Papier entworfen hat. «Was heute so schlicht aussieht, war fachlich eine riesige Herausforderung», weiss Balzer. «Und das alles neben der regulären Werkstattarbeit.» Qerim S. macht den Feinschliff, so lange, bis das Holz, zuletzt behandelt mit weiss pigmentiertem Öl, glänzt wie ein Spiegel. Er ist fertig: der Salontisch für seine Mutter. Die Churer Fachjury kürt das Möbel aus etwa 50 Arbeiten zum Objekt für Basel. Und dort macht Qerim S., der Schreinerpraktiker, Mitte Oktober auch noch das Rennen, gegen eine Konkurrenz von Schreinerlehrlingen im dritten und vierten Lehrjahr: Er bekommt von einer weiteren Jury den Roser-Talentpreis als Nachwuchsstar zugesprochen, für das innovative Design und die saubere Ausführung seines Salontischs, wie die Bewerter feststellen. «Das zeigt: Wenn man will, kann man auch unter unseren Bedingungen hier viel erreichen», meint Schreinereichef Balzer.

Schreinern, «das wäre perfekt»

Ende Oktober, Qerim S. arbeitet an seiner Hobelbank in Realta. Basel ist vorbei und die Zukunft ungewiss, eines hingegen weiss er mit Gewissheit: «Holz ist mein Element. Es fasziniert mich, schöne Möbel aus dem herzustellen, was die Natur hergibt. Dann kann ich stolz und zufrieden mit dem Resultat sein.» Fast wie ein Hobby sei das Schreinern für ihn, «und das zum Beruf zu machen, wäre perfekt.» Er will es versuchen, hofft auf eine Zukunft in Deutschland, auch wenn er weiss, dass es nicht einfach wird. Ende Jahr jedenfalls verlässt er die Anstalt. Dann wartet das nächste harte Stück Arbeit auf ihn.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu MEHR