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Sean Simpson: «Ehrlich, heute war es nicht einfach für mich»

Der Abschied als Schweizer Nationalcoach ist Sean Simpson gestern an der Eishockey-WM in Minsk sichtlich schwer gefallen. Nach dem Lettland-Match zog der Kanadier Bilanz über seine gut vier Amtsjahre.

Südostschweiz
21.05.14 - 02:00 Uhr

Mit Sean Simpson sprach Hansruedi Camenisch

Sean Simpson, wie sieht es in Ihnen gegenwärtig aus, eine halbe Stunde nach dem letzten Match mit der Schweiz?

Sean Simpson: Die Gefühle sind gemischt. Ich bin enttäuscht wegen der verpassten Viertelfinal-Qualifikation, aber glücklich über den Sieg gegen Lettland. Gleichzeitig schaue ich bereits auf meine neue Herausforderung. Mittel Juli beginne ich als Coach bei Lokomotiv Jaroslawl.

Wir war die Stimmung in der Kabine?

Ich war noch kaum dort. Am Abend werde ich mit der Mannschaft im Hotel sprechen.

«Letztmals bei Super-Typen wie Seger/Ambühl»

Schildern Sie uns doch Ihren letzten Tag als Schweizer Nationalcoach!

Ich muss ehrlich sein, heute wars nicht einfach für mich – schon bei der Teamsitzung vor dem Match, aber auch in den Drittelspausen. Ich wusste, dass ich das letzte Mal als Coach bei dieser Gruppe war, bei Supertypen wie zum Beispiel Mathias Seger oder Andres Ambühl, die an jeder meiner Weltmeisterschaften dabei waren.

Am 8. Mai 2010 gewannen Sie in Mannheim Ihr erstes WM-Spiel gegen Lettland mit 3:1. Jetzt hat sich der Kreis mit einem 3:2-Erfolg gegen den gleichen Gegner geschlossen.

Wir wussten, dass die Letten am Abend zuvor eine bittere 1:3-Niederlage gegen Russland erlitten hatten und müde waren. Deshalb setzten wir sie gleich von Beginn weg mit viel Tempo unter Druck. Mit der 3:0-Führung ging die Rechnung auf. Weil wir nachher etwas nachliessen, fand der Gegner doch noch ins Spiel. Unser 3:2-Sieg ist dennoch verdient.

Wie sieht Ihr Rückblick auf Minsk aus?

Russland war zum Auftakt klar besser als wir. Die Mannschaft reagierte gegen die USA aber hervorragend. Wir zeigten unser bestes Spiel, hatten aber bei zwei fälschlicherweise nicht anerkannten Treffern Pech. Da hätten wir Punkte verdient. Gegen Weissrussland kosteten uns individuelle Fehler einen oder zwei Zähler. Unter Erfolgsdruck gefiel das Team danach beim 3:2-Sieg gegen Deutschland. Gegen Finnland zeigten wir nach einem mässigen Start eines der besten Schlussdrittel seit Jahren. Leider verloren wir das Lotto, das Penaltyschiessen. Genau jener Punkt fehlt uns jetzt für die Viertelfinals. Denn gegen Kasachstan und Lettland erfüllten wir die Erwartungen.

«Diese WM war für uns eine Lektion»

Aber trotzdem: Nur mit Pech lässt sich das Verpassen der K.-o.-Runde nicht entschuldigen.

Der Charakter der Mannschaft war super. Die Spieler arbeiteten hart, und sie waren ein echtes Team. Nicht optimal war hingegen die Zusammensetzung der Mannschaft. Wir hatten zu viele Leute mit demselben offensiven Spielstil. Uns fehlten genügend ausgeprägte Defensivspieler. Und in verschiedenen Phasen des Turniers sah man, dass wir nicht genug erfahrene Leute hatten, wenn es hektisch wurde. Das soll aber kein Vorwurf sein an jene Akteure, die bereit waren, an die WM nach Minsk zu kommen. Jeder hat alles gegeben. Dass es im Defensivverhalten haperte, unterstreichen die Zahlen. In Stockholm kassierten wir in den sieben Gruppenspielen zehn Gegentore, jetzt sind es 21.

Wie sieht Ihr Rückblick auf Ihre vier Jahre und zwei Monate dauernde Zeit als Schweizer Nationalcoach aus?

Es gab Hochs und Tiefs. Der fünfte Platz 2010 in Mannheim und der zweite Rang in Stockholm sind zwei der vier besten Schweizer WM-Resultate seit 1953. Die Silbermedaille im Vorjahr war natürlich der Höhepunkt. Zu den Tiefs gehören die Schlussränge 9, 11 und jetzt 10. Ich stehe aber lieber einmal im Final, als dass ich sechsmal Achter werde.

Aber dreimal haben Sie das Minimalziel Viertelfinal verpasst.

Natürlich kann man sagen, der Coach ist entweder top oder flop. Doch das wäre einfach und naiv. Das internationale Eishockey ist viel besser geworden. Man sah es in Minsk: Weissrussland, Frankreich, Lettland oder auch Deutschland sind in der Lage, jeden zu schlagen. Wir müssen aufpassen. Diese WM war für uns eine Lektion.

Bereuen Sie etwas als Nationalcoach?

Natürlich wäre es nett gewesen, wenn wir die Viertelfinals öfter erreicht hätten. Doch so ist der Sport. Ich bedaure nichts, denn ich glaube, alles getan zu haben, was möglich war.

Wie sehen Sie die Zukunft des Schweizer Nationalteams?

Es sieht sehr gut aus. Ich war jeden Tag stolz, Nationaltrainer zu sein. Für mich bedeutete es eine grosse Ehre. Das Schweizer Eishockey ist heute besser als vor gut vier Jahren. Die Bestätigung ist die WM-Silbermedaille von Stockholm. Mit dieser Feststellung will ich mich aber nicht in den Vordergrund schieben. Der Erfolg basiert auch auf der Arbeit in den Klubs.

Welche Tipps geben Sie Ihrem Nachfolger?

Erstens sollte er immer kämpfen, damit er die bestmögliche Mannschaft aufs Eis bringen kann. Das ist nötig, aber in der Schweiz nicht immer einfach. Zweitens rate ich ihm, weiter auch auf junge Spieler setzen, vorallem auch in den Vierländerturnieren während der Saison. Drittens wird die Kommunikation mit den Klubs für den neuen Coach sehr wichtig. Auf dem Eis empfehle ich ihm, den eingeschlagenen Stil fortzusetzen.

«Es wird ziemlich hektisch»

Wie sehen Ihre nächsten Tage aus?

Es wird ziemlich hektisch. Für den Schweizer Verband arbeite ich noch die WM auf. Weiter gilt es, ein paar Dinge mit meinem nächsten Arbeitgeber Lokomotiv Jaroslawl abzuklären. Dann hoffe ich auf ein paar Wochen Ferien, bevor es Mitte Juli wieder losgeht. Jaroslawl wird für mich eine neue Herausforderung, ja ein Abenteuer in einer neuen Liga und einem neuen Land. Aber von jeder Erfahrung kann man profitieren und lernen.

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