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Schweizer Fahrende in Graubünden

Eine neue Website will die Kenntnisse über Fahrende verbessern und die jüngste Vergangenheit nicht dem Vergessen anheimfallen lassen.

Südostschweiz
14.11.12 - 01:00 Uhr

Von Sabine-Claudia Nold

«Die neue Website verfolgt zwei Ziele», so Thomas Meier, Historiker der Universität Zürich und zusammen mit Sara Galle Projektleiterin der Website. «Das verstreute Wissen über die Fahrenden soll mit dieser Informationsplattform gebündelt und einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden.» Gleichzeitig wolle die Website das Unrecht, das insbesondere die Aktion «Kinder der Landstrasse» der Pro Juventute den Fahrenden zugefügt habe, wachhalten. Mit konkreten Informationen richtet sich die Website zudem auch direkt an Behörden und Fahrende.

Fränzli- und Seppli-Musik

Wie Markus Risi, Leiter des Instituts für Kulturforschung Graubünden, in seiner Einleitung skizzierte und Guadench Dazzi, Historiker und Romanist kurz ausführte, ist die Geschichte Graubündens eng mit der Geschichte der Jenischen verbunden. Und das nicht nur, weil die Website als Folge der erfolgreichen Ausstellung «Puur und Kessler» (2008) im Rätischen Museum entstanden ist.

Der Kern der dreisprachigen Website bilden Themenbeiträge zur Geschichte und zum Leben der Fahrenden – früher und heute. Bilder, Film- und Tondokumente veranschaulichen und ergänzen die Texte, die alle mit Quellenangaben versehen sind. Ein Beispiel für die enge Verflechtung der Kulturen, zeigt sich bei der Volksmusik. «Josef (Seppli) Metzger oder Franz Josef (Fränzli) Waser sind nur zwei jenische Pioniere der Bündner Volksmusik», erzählt Dazzi. «Seppli-Musik und Fränzli-Musik sind heute noch bekannt.» Wobei die Fränzli-Musik mit grossem Erfolg von den Ils Fränzlis da Tschlin gepflegt werde.

Situation heute in Graubünden

Bezüglich der Standplätze für Fahrende sieht es in Graubünden gut aus. Georg Aliesch, Leiter Gemeindeaufsicht im Amt für Gemeinden, führte aus, dass es auf den Standplätzen in Cazis und Chur kaum Wechsel gebe und Mieter und Vermieter zufrieden seien.

Für Fahrende mit Schweizer Bürgerrecht stünden zudem Durchgangsplätze in Felsberg, Bonaduz, Rodels, Andeer und Tavanasa zur Verfügung. «Ein Problem ist der Transitplatz in Domat/Ems», so Aliesch. Hier müsse mit der Standortgemeinde eine Lösung gesucht werden.

Nicht länger Schweigen

Als unmittelbar Betroffene der Aktion «Kinder der Landstrasse» spricht Uschi Waser, die 1952 in Rüti geboren wurde und heute Präsidentin der Stiftung «Naschet Jenische» ist: «Wir wollen und brauchen eine vollumfängliche Rehabilitation und Partizipation an Gesellschaft und Staat, jenische Anwälte, Ärztinnen und Sozialarbeiter. Dazu braucht es Bildungsmöglichkeiten und die Bereitschaft der Fahrenden, ihre Kinder in die Schule zu schicken.» Gerade mit ihrer letzten Forderung, stösst sie bei Jenischen nicht nur auf Begeisterung.

Das Studium ihrer Pro-Juventute-Akten 1989 erschütterte Waser zutiefst. Unter anderem war für sie nach dem Aktenstudium klar, weshalb ihr Stiefvater, der sie jahrelang vergewaltigt und missbraucht hatte, freigesprochen, sie selbst aber als Lügnerin abgestempelt worden war. «Viele Jenische haben nach dem, was ihnen angetan wurde, keine Stimme mehr», weiss sie.

«Noch zwei Generationen unmittelbar Betroffener sind unter uns. Die Fachleute müssen diesen Teil der Schweizer Geschichte kennen und entsprechend ausgebildet sein, wenn traumatisierte Betroffene ihre Hilfe benötigen», fordert sie.

Heute seien die Auswirkungen auf fehlende Geborgenheit und Entwurzelung bei Kleinkindern kein Geheimnis mehr. Waser war als dreijähriges Mädchen bereits zehnmal umplatziert worden – ihre Odyssee sollte bis zum 18. Lebensjahr 23 Stationen umfassen.

Homepage unter: www.stiftung-fahrende.ch

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