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Russland will «Homosexuellen-Propaganda» verbieten

Die russische Regierung möchte Homosexuelle mundtot machen. Die ohnehin schon stark unterdrückten Schwulen und Lesben drohen damit noch stärker an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden.

Südostschweiz
26.01.13 - 01:00 Uhr

Von Ulf Mauder (sda)

Moskau. – Künftig sollen Homosexuelle in Russland gar nicht mehr öffentlich über ihr Liebesleben sprechen dürfen. In Moskau sind gestern fanatische russisch-orthodoxe Christen mit faulen Eiern, blauer Farbe und Hassparolen auf Dutzende Lesben und Schwule losgegangen. «Moskau ist nicht Sodom», grölen die Gläubigen vor dem russischen Parlament gegen «Sünde und Lasterhaftigkeit».

Aber nicht die Angreifer kommen in Polizeigewahrsam, sondern die lesbischen und schwulen Aktivisten, die um ihr Recht auf Selbstbestimmung und freie Meinungsäusserung kämpfen. «Wir haben auch ein Recht auf Liebe», rufen sie.

Was gilt als «Propaganda»?

Es ist der Tag, an dem die Staatsduma erstmals über ein landesweites Verbot von «Homosexuellen-Propaganda» diskutiert. Die Abgeordnete Jelena Misulina, Vorsitzende des Familienausschusses, verteidigt das Vorhaben als besseren Schutz für Kinder. «Die russische Gesellschaft ist konservativer, deshalb ist die Initiative gerechtfertigt», meint die Politikerin.

Aber die Machtführung ist bei diesem Gesetz gespalten. Aussenminister Sergej Lawrow gilt als Befürworter. Regierungschef Dmitri Medwedew dagegen lehnt ein landesweites Verbot ab und betont, dass nicht alle zwischenmenschlichen Beziehungen per Gesetz geregelt werden könnten. Doch in Regionen wie etwa St. Petersburg und Kaliningrad sind entsprechende Verbote samt Bussgeldkatalog bereits in Kraft. 388 Abgeordnete der Staatsduma mit den 450 Mandaten stimmen in erster Lesung für den Entwurf. Für das Gesetz sind eine zweite und dritte Lesung notwendig. Dass das Verbot die parlamentarische Hürde nimmt, darüber hegen Beobachter aber keinen Zweifel.

Die Boulevardzeitung «MK» schreibt von einem beispiellosen Eingriff des Staates in die Privatsphäre mit einem dreisten Kontrollblick in die Betten der Russen. Beobachter sehen im Gesetz vor allem auch ein Störmanöver des Kreml, von der Proteststimmung und den vielen Problemen wie Korruption und Justizwillkür im Land abzulenken. Minderheiten hätten sich schon immer gut als Zielscheibe für Hass geeignet, heisst es. Auch die Kritik internationaler Verbände, Menschenrechtsorganisationen und westlicher Regierungen konnte das Vorhaben nicht stoppen. Sie warnen, dass das Gesetz die europäische Menschenrechtskonvention verletze.

«Macht Kinder!»

Die orthodoxen Anhänger vor der Duma aber meinen, dass das Gesetz im Sinne von Kremlchef Wladimir Putin gegen den Bevölkerungsschwund helfe. Homosexualität, so ist zu hören, störe die demografische Entwicklung. «Macht Kinder!» ruft ein Mann den Homosexuellen zu. «Dieses Gesetz zwingt jede Lesbe und jeden Schwulen zur Lebenslüge über seine Identität», meint hingegen die Aktivistin Jelena Kostjutschenko. Zwei Frauen küssen sich demonstrativ bei der Aktion. Dann werden sie von Eiern getroffen. Eine Frau in schwarzer Jacke verspritzt auf die Lesben und Schwulen blaue Farbe – goluby, zu Deutsch blau, ist das russische Wort für Homosexuelle.

Möglicher Freibrief für mehr Gewalt

Diese jungen homosexuellen Russinnen und Russen lehnen ein verbreitetes Doppelleben hinter der Fassade einer heilen Familie ab. In einschlägigen Clubs sind sie immer wieder zu treffen, trinken und verzweifeln darüber, durch Rollenklischees in eine Lebenslüge gedrängt worden zu sein. Sie befürchten, dass religiöse Fanatiker und Rechtsradikale das neue «Anti-Homosexuellen-Gesetz» als Freibrief für neue Gewaltattacken verstehen könnten. Allein letztes Jahr habe es 43 Übergriffe auf Homosexuelle gegeben, davon vier mit tödlichem Ausgang.

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