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«Ruhe in Frieden, Löwenherz, alle vier werden hängen»

Ihr Martyrium schockte die Welt. Nun wurden die vier Vergewaltiger der 23-jährigen Inderin neun Monate nach der Horrortat zum Tode am Strang verurteilt. Der Fall hat Indien für immer verändert.

Südostschweiz
14.09.13 - 02:00 Uhr

Von Christine Möllhoff

Neu-Delhi. – Als der Richter das Urteil verliest, bricht der 20-jährige Vinay Sharma schluchzend zusammen, die drei anderen Angeklagten Mukesh Singh, Akshay Thakur and Pawan Gupta flehen laut um Gnade. Vor dem Gebäude, wo seit Stunden eine Menschenmenge ausharrt, brandet dagegen Applaus und Jubel auf. Neun Monate hat Indien auf diesen Moment gewartet. Gestern verurteilte ein Spezialgericht die vier volljährigen Vergewaltiger und Mörder der 23-jährigen Inderin, deren Martyrium die Welt schockte, zum Tode am Galgen. Der jüngste Täter war vor zwei Wochen zu drei Jahren Jugendarrest verurteilt, der sechste Täter im März erhängt in seiner Zelle aufgefunden worden.

«Ruhe in Frieden, Löwenherz. Alle vier werden hängen», titelte der TV-Sender Headlines today. Das Urteil kam alles andere als überraschend. Zu unfassbar war die Tat. Die sechs Männer hatten die Studentin und ihren Freund am 16. Dezember in Delhi in einen Bus gelockt. Dort vergewaltigten und folterten sie die 23-jährige derart bestialisch, dass Ärzte von einer Gewaltorgie sprachen. Die junge Frau erlag zwei Wochen später ihren Verletzungen.

Ein Exempel statuiert

Mit der Todesstrafe wollten die Richter ein Zeichen setzen, dass Indien solche Verbrechen nicht duldet. Die «bestialische Tat» habe das «kollektive Gewissen der Nation» erschüttert, sagte Richter Yogesh Khanna. Die Gesellschaft dürfe keinerlei Toleranz für solche Verbrechen zeigen und müsse ein Exempel statuieren.

Neben Vergewaltigung sprach das Gericht die vier auch des Mordes schuldig. Die Eltern des Opfers begrüssten das Urteil. «Endlich finden wir Frieden. Die Täter bekommen die Strafe, die sie verdient haben», sagte die Mutter des Opfers mit Tränen in den Augen und appellierte an andere Frauen, sich zur Polizei zu trauen. «Kein Opfer sollte schweigen. «

Dass die vier Männer im Alter von 19 bis 28 tatsächlich am Galgen enden, ist allerdings noch lange nicht ausgemacht. Die Anwälte wollen Berufung einlegen, die Prozesse könnten sich über Jahre hinziehen. Ohnehin wird die Todesstrafe in Indien weit seltener vollstreckt als in den USA oder China. Obwohl 477 Todeskandidaten einsitzen, hat Indien in 17 Jahren nur drei Menschen hingerichtet. Die Todesstrafe spaltet das Land – 40 Prozent der Inder wollen sie laut Umfragen abschaffen.

Immer wieder gibt es nun Proteste

Das Verbrechen von Delhi markiert einen Wendepunkt in der Geschichte des Landes. Erstmals schaute Indien nicht weg, sondern stellte sich der Horrortat in all ihren unfassbaren Details – allen voran die Medien, die gross berichteten. Die Nation verfolgte den Todeskampf der jungen Frau mit, sie wurde zum Symbol für die Gewalt, die Indiens Frauen täglich erleiden. Und dann geschah etwas Neuartiges: Über Wochen kam es in Delhi zu spontanen Massenprotesten. An der Spitze stand die wiedererstarkte Studentenbewegung. In der Kälte des Winter stellten sich junge Männer und Frauen den Wasserwerfern entgegen. Sie forderten nichts geringeres als ein neues Wertesystem, ein neues Indien.

Das Urteil setzt einen Schlusspunkt unter den Fall. Für viele Inder ist damit Gerechtigkeit getan, auch die Politik würde das Thema lieber heute als morgen ad acta legen. Doch der Kampf gegen die Gewalt gegen Frauen ist noch lange nicht gewonnen. Die Serie von Vergewaltigungen geht weiter, die meisten Täter gehen straffrei aus, weil Polizei und Justiz Gewalt gegen Frauen dulden. Dennoch hat sich Indien für immer verändert. Allerorten gibt es Zeichen eines Bewusstseinswandels, eines wachsenden Widerstandes. Immer wieder flammen nun nach Vergewaltigungen Proteste auf, selbst in entlegenen Regionen. Mehr und mehr Frauen machen ihr Leid öffentlich. Allein in Delhi verdoppelte sich dieses Jahr die Zahl der gemeldeten Vergewaltigungen auf über 1000.

Selbst Bollywood nimmt sich nun des Tabuthemas an. Der Film «Kill the rapist?» («Den Vergewaltiger töten?») soll Frauen ermutigen, zur Polizei zu gehen. Und in einer revolutionären Kampagne werden Indiens verehrte Göttinnen mit Wunden und blauen Augen gezeigt, um gegen die Gewalt zu mobilisieren. Die Politik verschärfte Gesetze und richtete Schnellgerichte ein, auch wenn diese erst noch zeigen müssen, dass sie ihren Namen auch wirklich verdienen.

Auf dem Land verändert sich wenig

Motor des Wandels ist die junge Mittelschicht in den Städten. Auf dem Lande, wo noch immer 70 Prozent der Inder leben, bewegt sich dagegen nur wenig. In vielen Regionen herrschen grausame, zutiefst partriarchalische Strukturen, die durchaus an die Taliban erinnern. Frauenrechtlerinnen machen sich daher keine Illusionen. Es werde mindestens eine Generation dauern, bis sich tiefverwurzelte Denkmuster ändern, meint die prominente Aktivistin Ranjana Kumari.

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