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Pyrenäen-Desmane nach Schottland?

Die Umsiedlung von Tieren ist ein anspruchsvolles Unterfangen: Forschung und Abklärungen im Vorfeld einer allfälligen Managed Relocation sind zeit- und kostenintensiv. Das gilt insbesondere für Säugetiere wie den Pyrenäen-Desman.

Südostschweiz
16.01.11 - 01:00 Uhr

Von Gerd F. Michelis

Knackpunkt jeder Umsiedlung von gefährdeten Tierarten sind die nicht unerheblichen Kosten. «Aufwendig ist allein schon die Forschungsarbeit, die man leisten muss, um herauszufinden, ob eine Managed Relocation im konkreten Einzelfall überhaupt nötig und möglich ist», gibt Jessica Hellmann zu bedenken. Und kaum weniger kostspielig dürften Vorbereitung, Durchführung und Überwachung der eigentlichen Massnahme sein. Zum Vergleich: Nur um den bisherigen Bestand des Bay Checkerspot Butterfly zu erhalten – ohne dass ein einziger Falter in neue Lebensräume gebracht wurde -, mussten in den vergangenen Jahren laut der dem US-Innenministerium unterstellten Behörde US Fish and Wildlife Service mehr als 1,6 Millionen Dollar investiert werden.

Von Nordspanien nach Norwegen?

«Dabei wäre die Umsiedlung von Insekten und Pflanzen wahrscheinlich noch erheblich preiswerter als die von Säugetieren», meint der Brite Chris Thomas, Naturschutzbiologe an der University of York, und verweist auf den Pyrenäen-Desman, einen Maulwurf, für den Wissenschaftler der dänischen Aarhus-Universität bereits Umzugspläne erarbeitet haben. Derzeit schwimmt und taucht der kleine Desman noch in den kalten Fliessgewässern Nordspaniens, doch schon in wenigen Jahrzehnten werden dort Wassertemperaturen herrschen, die sein Überleben unmöglich machen. «Gebirgsgegenden in Schottland, Norwegen und Westschweden dagegen», erklärt Naia Morueta-Holme, Doktorandin der Biowissenschaft in Aarhus, «kommen als neue Lebensräume für ihn durchaus in Frage – selbst wenn man das negativste Szenario des Weltklimarats IPCC zugrunde legt.»Für unwahrscheinlich halten es die Dänen, dass sich der Pyrenäen-Desman an ein wärmeres und trockeneres Klima anpassen könnte. Ausserdem müsse man insbesondere in Südwesteuropa mit «dramatischen klimatischen Veränderungen rechnen», so Morueta-Holme. Noch in diesem Jahrhundert würden die Temperaturen auf der iberischen Halbinsel und in Teilen Frankreichs in den Sommermonaten um mehr als sechs Grad steigen, während gleichzeitig die Niederschläge erheblich geringer ausfielen als früher.

Aufwendige Vorbereitungen

Bedrohte Arten wie den Pyrenäen-Desman in Gegenden zu bringen, die sie auf natürliche Weise nicht erreichen könnten, erklärt Biologe Thomas, «ist eine Option, die man ernsthaft in Erwägung ziehen sollte. Denn vergessen Sie nicht: Der vom Menschen verursachte Klimawandel ist ebenfalls nicht natürlich.»Doch bevor eine solche Managed Relocation praktisch umgesetzt werden könne, ergänzt Morueta-Holme, müssten Feldversuche durchgeführt werden, um unerwünschte Nebenwirkungen erkennen und allgemeine Erfolgsaussichten abschätzen zu können. Und wie viele Maulwürfe bräuchte man dafür? «Das hängt von der Grösse des zu besiedelnden Gebietes ab», antwortet die Wissenschaftlerin. Zu klein dürfe die Zahl der Tiere nicht sein, andernfalls stelle sich das Problem der Inzucht. «Die geschätzte natürliche Bevölkerungsdichte liegt bei 2,8 bis 7,3 Individuen pro Kilometer Flusslauf.»

Klimawandel nicht einziges Problem

Geeignete Desmane auf der iberischen Halbinsel zu fangen und anderswo freizulassen, «wäre technisch kein Problem», sagt der spanische Wildtierexperte Jorge Gonzalez-Esteban. Allerdings lehnt er – ebenso wie Vertreter des Umweltministeriums – ein solches Vorgehen ab. Zunächst müsse man andere Schutzmassnahmen zur Erhaltung der Art ergreifen, «denn die hat mit akuteren Problemen zu kämpfen als dem des Klimawandels».Zu schaffen mache den kleinen Wasserbewohnern, die selten mehr als 80 Gramm wiegen, insbesondere die Zerstückelung ihrer Lebensräume – etwa durch Wasserkraftwerke. «Sie kommen nur noch in versprengten Kleinstpopulationen von ein, zwei Dutzend Tieren vor», berichtet Gonzalez-Esteban, der regelmässig Höhenzüge im Baskenland und in Westspanien auf der Suche nach Galemys pyrenaicus durchstreift. Insgesamt gebe es von ihnen nur noch wenige Tausend, und das sei, «eine sehr, sehr kleine Menge für ein Säugetier, das auf spezielle Gebirgsbäche angewiesen ist und aus eigener Kraft nicht von einem zum anderen wechseln kann.»

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