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Papandreou reizt Europa und den Blinddarm des Ministers

Mit dem völlig überraschend angekündigten Referendum über das Griechenland-Rettungspaket irritiert Premier Giorgos Papandreou die europäischen Partner und die Finanzmärkte. Bis in die eigenen Reihen erntet er scharfe Kritik.

Südostschweiz
02.11.11 - 01:00 Uhr

Von Gerd Höhler

Athen. – Eine Atempause glaubte Europa gewonnen zu haben, als die EU-Staats- und -Regierungschefs auf ihrem Krisengipfel am vergangenen Mittwoch das neue Griechenland-Rettungspaket schnürten. Auch der griechische Premier Giorgos Papandreou stellte erleichtert fest, das Land habe dank des Schuldenschnitts nun genug Zeit, die notwendigen Reformen umzusetzen. Aber jetzt zeigt sich: Die Retter und die vermeintlich Geretteten konnten gerade mal kurz nach Luft schnappen, da beginnt schon wieder das grosse Zittern.

Mit der völlig überraschenden Ankündigung, die Gipfelbeschlüsse in Griechenland zur Volksabstimmung zu stellen, liess Papandreou am Montagabend in der Sitzung seiner sozialistischen Regierungsfraktion eine Bombe platzen, deren politische Sprengkraft noch gar nicht abzuschätzen ist. «Wir stehen plötzlich wieder am Nullpunkt», konstatierte entsetzt ein Athener Analyst.

Finanzminister plötzlich im Spital

Papandreou nennt das geplante Referendum einen «Akt der Demokratie». Es sei für das Volk «ein höchst demokratischer und patriotischer Schritt, seine eigene Entscheidung zu fällen», sagte er. Und Finanzminister Evangelos Venizelos erklärte: «Griechenland durchlebt ein Drama, von dem es erlöst werden muss, indem das Volk seinen Willen kundtut.» Von dem Referendum verspreche er sich «ein nationales Gefühl der Erleichterung und Erholung», sagte Venizelos am Montag, um sich gestern früh mit starken Bauchschmerzen in eine Athener Klinik bringen zu lassen – Blinddarmentzündung.

Die plötzliche Erkrankung des Finanzministers, der als Vizepremier eine Schlüsselstellung in der Regierung einnimmt, sorgte für zusätzliche Verunsicherung: Wohin steuert das krisengeschüttelte Land? Noch ist weder klar, wann das Referendum stattfinden soll – Venizelos nannte Anfang 2012 als möglichen Termin –, noch hat Papandreou verraten, auf welche Frage seine Landsleute an den Urnen mit Ja oder Nein antworten sollen. Doch wie immer sie formuliert ist: Muss Papandreou nicht fürchten, dass die Abstimmung zwangsläufig zu einem Misstrauensvotum gegen seine Regierung wird? Oder sucht hier ein amtsmüder Regierungschef einen Vorwand, sich zu verabschieden?

Rätselraten über die Motive

Nicht nur in Athen rätselte man gestern über Papandreous Motive. Irritation sprach auch aus den Reaktionen der meisten europäischen Partner. Offenbar hatte der griechische Premier weder die EU-Kommission noch seine europäischen Amtskollegen eingeweiht. Sie fragen sich, warum Papandreou das in den vergangenen Wochen mühsam geschnürte Rettungspaket – es sieht Hilfskredite von weiteren 100 Milliarden Euro und einen 50-prozentigen Schuldenschnitt vor – nun wieder infrage stellt. Nicht nur der deutsche FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sieht eine «akute Gefahr eines griechischen Staatsbankrotts». Diese Angst treibt auch die Investoren um: Mit seiner Ankündigung schickte Papandreou den Euro und die Börsen rund um den Globus auf steile Talfahrt. Der Athener Aktienindex rutschte gestern gleich zum Handelsauftakt um rund acht Prozent nach unten.

Ganz so einfach ist es nicht

Griechenland und die Eurozone stehen jetzt vor einer langen Zitterpartie. Denn ein Referendum lässt sich nicht von heute auf morgen anberaumen. Dazu bedarf es zunächst eines Parlamentsbeschlusses und einer Präsidialverordnung. Strittig ist auch, ob der Schuldenschnitt überhaupt Gegenstand eines Referendums sein kann. Denn Artikel 44 der griechischen Verfassung erlaubt zwar Volksabstimmungen «zu besonders wichtigen nationalen und gesellschaftlichen Fragen», verbietet sie aber ausdrücklich, «wenn sie die öffentlichen Finanzen betreffen».

Die letzte Volksabstimmung in Griechenland fand 1974 statt. Wenige Monate nach dem Sturz der Militärjunta entschieden sich die Griechen damals für die Abschaffung der Monarchie. Diesmal könnten die Konsequenzen eines Referendums ähnlich weitreichend sein. Denn letztlich geht es um Griechenlands Verbleib in der Eurozone und der EU.

Eher Neuwahlen als Referendum?

Aber möglicherweise kommt es gar nicht dazu, denn die Oppositionsparteien fordern Neuwahlen statt eines Referendums. Papandreou wiederum hofft, Wahlen – die er zu diesem Zeitpunkt mit Sicherheit verlieren würde – vermeiden zu können und will jetzt im Parlament die Vertrauensfrage stellen. Darüber soll die Volksvertretung am Freitag um Mitternacht abstimmen. Erst im Juni hatte der Premier eine Vertrauensabstimmung knapp gewonnen. Ob er noch einmal ein Mandat des Parlaments bekommt, ist aber ungewiss. Denn seine Mehrheit bröckelt.

Papandreou spürt zunehmend Gegenwind. Mit 160 Abgeordneten zog er vor zwei Jahren ins Parlament ein. Am Montag zählte seine Fraktion noch 153 Abgeordnete. Gestern verliess eine weitere Parlamentarierin die Regierungsfraktion und erklärte sich für unabhängig. Papandreous Mehrheit schrumpft damit auf 152 der 300 Sitze – wenn bis Freitag nicht noch mehr Abgeordnete abspringen. Eine weitere sozialistische Spitzenpolitikerin ging gestern bereits auf Distanz zu Papandreou und forderte sofortige Neuwahlen. Sechs andere Politiker der Regierungspartei griffen Papandreou in einem gemeinsamen Brief scharf an. Sie kritisieren das geplante Referendum als eine Entscheidung von «beispielloser Verantwortungslosigkeit» und fordern Papandreou zum Rücktritt auf: Das Land brauche dringend eine politisch legitimierte Regierung, hiess es in dem Brief.

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