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«Optimismus und Gottvertrauen sind die besten Lebenselixiere»

Senioren sind wandelnde Geschichtsbücher: Sie können viel erzählen. Jeweils dienstags lässt eine ältere Person die «Südostschweiz»-Leser an ihrem Leben teilhaben: heute Leo Scherrer (79) aus Benken.

Südostschweiz
24.01.12 - 01:00 Uhr

«Dieses Jahr darf auch ich bereits den 80. Geburtstag feiern. In Rorschach und Rorschacherberg habe ich meine Kindheit verbracht. Schon bald wusste ich, was ich werden will, nämlich Lehrer. So schloss ich 1952 das Lehrerseminar ab und trat danach meine erste Stelle in Rüeterswil an.

Dort führte ich eine Gesamtschule mit acht Klassen und durchschnittlich 24 Schülern. Manche Kinder kamen im Winter erst zur Schule, nachdem der von Ochsen gezogene Pfadschlitten den Weg frei gemacht hat. Dazumals hatte man den Plan, in der Mitte zwischen den Ortschaften Rüeterswil und Walde ein neues Schulhaus zu bauen.

Vorerst wollte man jedoch herausfinden, wie lange der neue Schulweg für die Schüler aus entlegenen Gebieten wäre. Dazu begleitete ich einen Schüler von der Schwendi, der übrigens noch heute amtierender Kantonsrat ist. Danach stand fest: Der Schulweg würde definitiv zu lang und das Projekt Schulhausneubau wurde fallengelassen.

«Er hatte noch nie zuvor einen See gesehen»

Einmal gingen wir auf Schulreise nach Rapperswil. Viele kamen das erste Mal nach Rapperswil und waren ganz aus dem Häuschen. So stand ein Schüler staunend am Seeufer und fragte mich: ‘Sie, Herr Lehrer, wie händ die das dänn gmacht?’ Er hatte noch nie zuvor einen See gesehen. Neben meinem Lehrerjob war ich auch noch Schulratsaktuar. So was ginge heute auch nicht mehr.

Nach fünf Jahren wollte ich dann doch auch ins Tal hinunter. Nun kam es, dass in Benken ein Pfarrer Lehnherr amtete, den ich noch von Rorschach her kannte. Aber auch die Tatsache, dass Benken über einen Eisenbahnanschluss verfügt, war für mich ein Grund, dorthin zu ziehen. So trat ich 1957 eine neue Anstellung in Benken an. Hier unterrichtete ich oft an die 50 Schüler in einem Raum von zirka 90 Quadratmetern. Es wurde manchmal so eng, dass diejenigen, welche ganz vorne sassen, jedesmal den Kopf auf das Pult runterdrücken mussten, damit ich die Wandtafelseiten wenden konnte.

«Körperstrafen waren für Lehrer noch erlaubt»

Disziplinarisch gesehen hatte ich mit 50 Schülern nicht mehr Probleme als mit 24. Nur in ganz seltenen Fällen musste ich zum äussersten Mittel greifen. Gemäss Reglement waren damals ja ‘angemessene Körperstrafen’ noch erlaubt. Ich habe meinen Beruf geliebt und ihn bis zu meiner Pensionierung gerne ausgeübt.

Im ersten Jahr, als ich nach Benken kam, lernte ich 1957 meine Frau Cäcilia Landolt kennen. Das war an einem grossen Dorffest, dessen Erlös für einen neuen Kindergarten und ein Pfarreiheim verwendet wurde. Da gab es einen Umzug, eine ‘Spanische Brötlibahn’ und viele Beizli. Nachdem wir 1959 geheiratet haben, bekamen wir vier Töchter.

Fasnacht und Schnitzelbänke als Leidenschaft

Schon immer war ich ein freudiger Sänger. Seit meinem 10. Lebensjahr habe ich immer irgendwo mitgesungen. Über 20 Jahre war ich Mitglied im Kantonalen Lehrergesangsverein St. Gallen, wo ich später auch noch als Präsident amtete. In Benken hatte ich im Kirchen- und Männerchor so begeistert mitgemacht, dass man mich darum bat, doch auch gleich das Dirigieren zu übernehmen. In diesen Chören sowie im Veteranenchor Linth und in der Kantorei Toggenburg bin ich noch heute aktiv mit dabei.

Eine weitere Leidenschaft von mir kommt jeweils während der Fasnachtszeit zum Zuge. Bereits zum 15. Mal verfasse ich auch dieses Jahr die Benkner ‘Büttenrede’ für den Kostümball am ‘Schmudo’. In diesen Schnitzelbänken beschreibe ich die Vorkommnisse des Jahres. Dass ich gerne schreibe, kommt nicht von Ungefähr: Mein Vater war Redaktor der ‘Rorschacher Zeitung’, schrieb zwei Festspiele für Rorschach sowie wöchentlich ein Gedicht für die Sonntagsbeilage. Auch die Liebe zur Musik, sei es nun das Singen oder Orgelspiel, bekam ich von zu Hause mit. Noch heute spiele ich aushilfsweise Orgel in der Kirche Benken.

Ich störe mich immer daran, wenn Leute jammern, das Leben sei viel zu kurz. So durfte ich seit meiner Kindheit einen enormen Fortschritt erfahren. Vor allem in den Bereichen Raumfahrt, Kommunikation und Medien. Das beste Lebenselixier ist für mich eine Mixtur aus Optimismus, Frohsinn und Gottvertrauen.»

Aufgezeichnet von Gaby Kistler.

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