×

Motorengeknatter als Lebenselixier

Hansluzi Rüedi war Bergbauer im Prättigau, bevor er zu seinem wahren Leben fand: Harley-Davidson. Seit 15 Jahren baut er in Trimmis schwere amerikanische Motorräder um.

Südostschweiz
01.05.11 - 02:00 Uhr

Von Reto Furter (Text) und Margrit Rüedi (Bilder)

Trimmis. – Echte Motorräder kommen aus Milwaukee (USA), auf ihren Metalltanks steht Harley-Davidson. Sie glänzen, verstecken ihren Motor nicht hinter Plastikverschalungen. Wenn man ihren Motor startet, hört man ihn auch, und wer zum ersten Mal eine Harley startet, erschrickt: Weil die Motoren teils ungefedert mit dem Rahmen verschraubt sind, zittert und vibriert alles. Selbst im Stand. Harley-Motorräder sind ein Mythos. Wer ihn aufleben lassen will, fährt nach Trimmis zu Hansluzi Rüedi.

Der 51-jährige Rüedi macht dort Bubenträume wahr. Jahrelang arbeitete seine Grischa Motorcycles GmbH als offizielle Harley-Davidson-Servicestelle unscheinbar an der Deutschen Strasse in Trimmis, seit drei Jahren – noch unscheinbarer – im Industriequartier zwischen Trimmis und Untervaz. 2003 wurden die Servicestellen aufgehoben, seither ist er «Independent dealer», freier Händler. Rüedi lebt nach wie vor seinen Traum, auch äusserlich. Er sei schon immer mit Stiefeln und mit seinem Hut herumgelaufen – «wenn man mich sieht, funktioniert der Wiederkennungseffekt», sagt er dazu.

Seit 15 Jahren macht Rüedi in seiner eigenen Firma das, was er will. Rund 800 Kunden habe er in seiner Kartei, rechnet er – er kenne jeden, und auch jedes Motorrad. Gelegentlich könne er sich sogar besser an die Zweiräder erinnern als an ihre Besitzer. Harley-Motorräder hätten anders als andere Fahrzeuge eine Seele.

In Rüedis Garage trifft man sich, trinkt Kaffee, redet über das Wetter, über Reisen und über Motorräder. Er habe Kunden «aus allen Bevölkerungsschichten», sagt Rüedi, «vom Handlager bis zum Top-Manager» – und alle würden sie die gleiche Sprache sprechen und die Leidenschaft für schwere Motorräder aus Nordamerika teilen.

«Geheimelt» auf der ersten Harley

Einer von ihnen ist der 45-jährige Rolf Seybold, Motorradfan aus dem deutschen Ludwigsburg. Seine Familie besitzt eine Ferienwohnung in Savognin – er will ein «Ferienmotorrad» in Graubünden «stationieren», wie er sagt: eine komplett umgebaute Harley von 1997. Er sei ein Individualist und ein Ästhet, sagt Seybold, und er wolle ein Motorrad, das es «kein zweites Mal gibt». Von Gleichmacherei hält er nicht viel, wie er sagt. Er wolle nicht «wie jeder andere» ein VW Golf Cabrio fahren. Wie sein umgebautes Motorrad dereinst aussehen soll, weiss Seybold seit Langem: schwarz, minimalistisch, puristisch. Das sei Freiheit und Stil, sagt Seybold, der ein Geschäft für Innenausstattung leitet, wenn er nicht auf Achse ist mit seiner anderen, ersten Harley.

Auch für Rüedi bedeuten Harley-Davidson-Motorräder in erster Linie «Freiheit», wie er sagt. Er wuchs in Mezzaselva im Prättigau auf und übernahm den Bergbauernhof seiner Eltern, zumindest für ein paar Jahre. Seine Faszination habe aber schon damals den Maschinen gegolten. Er reparierte Landmaschinen, war Maschinist am Skilift – «ich habe im vorgegebenen Rahmen gelebt», sagt er.

Als er dann aber auf seiner ersten Harley gesessen habe, habe es ihm «geheimelt»: Alles sei robust gewesen, stabil und ohne Schnickschnack, sagt er. Der Töff habe ihm die Türe nach aussen geöffnet, ein Rebell sei er zuvor schon gewesen. Über die Reaktionen auf seine erste Harley-Fahrt durch Serneus mit dem viel zu lauten Auspuff schmunzelt er noch heute, ebenso über seine Konzertauftritte mit der damaligen Prättigauer Mundart-Hardrockband «Grabstein».

In seiner Trimmiser Werkstatt wird emsig am Umbau von Seybolds Harley geschraubt. Mechaniker Norman Fehr montiert zusammen mit Luzi Walder eine neue Hinterradaufhängung und einen Breitreifen, neue Stossdämpfer, eine neue Gabel, dann verkabelt er die Elektronik neu. Wie Rüedi kennt auch Fehr jede Schraube «im Schlaf». Seine erste Harley habe er mit 19 Jahren selbst gebaut, sagt er.

30 000 Franken für Individualität

Der Zeitaufwand für den Umbau von Seybolds Motorrad ist gross für Rüedis Team: fast 100 Arbeitsstunden. Dazu kommen unter anderem die Kosten für die Räder, die Bremsen, den Auspuff, die Schutzbleche und den neuen Tank. Schliesslich fallen noch Kosten für die Arbeit des Lackierers und des Sattlers an. Mit rund 30 000 Franken wird Seybold am Schluss rechnen müssen – nicht inbegriffen die Kosten für das (gebrauchte 14-jährige) Motorrad selbst. «Viel Geld für Individualität und Freiheit», sagt Seybold selbst. Abgeschlossen ist der Umbau aber noch nicht: Er müsse später noch einige Details ändern, etwa die Schrauben oder neue Leitungen vom Öltank zum Motor.

Mit dem Umbau falle man an einem Motorradtreffen heute auf, sagt Rüedi. Es ist abgeschlankt, retro, einfach. Das sei die heutige Individualität. Wer hingegen mit einem Motorrad für 100 000 Franken an eines der einschlägigen Harley-Treffen fahre, werde dort kaum mehr wahrgenommen. Zu viele teure Umbauten tummeln sich dort mittlerweile, denn auf einer Harley sitzen heute auch viele, die ihre Midlife-crisis verdrängen und dem Leben mit einem teuren Hobby noch einmal eine Wende verleihen wollen.

Nur wenig Lust auf eine Wende verspürt hingegen Rüedi. Mit der neuen Harley-Modellgeneration mit wassergekühlten Motoren auf Porschebasis könne er nicht mehr viel anfangen, sagt er. Das seien «keine Harley-Motorräder mehr», denn man sei vom Einfachen und Robusten weggekommen und habe sich an anderen Marken orientiert. In der Folge glichen solche Modelle Motorrädern aus Deutschland, Japan oder Italien – aber technisch seien sie nicht ganz auf jenem Stand. Wer so eine neue Harley kaufe, habe «nicht begriffen, was eine Harley überhaupt ist», sagt er.

Hansluzi Rüedi feiert das 15-jährige Bestehen seiner Grischa Motorcycles GmbH – mit einem Tag der offenen Tür, und zwar heute Sonntag ab 10 Uhr an der Rheinstrasse zwischen den Bahnhöfen Trimmis und Untervaz.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu MEHR