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Mit 300 Tonnen auf dem Obersee

Ein Traum geht in Erfüllung: eine Fahrt mit dem Ledischiff über den Obersee. Die behäbige, fast meditativ ruhige Fahrt lässt erahnen, wie früher Transporte vonstatten gingen. Ledischiffe sind aber nach wie vor effizient im Einsatz.

Südostschweiz
17.08.14 - 02:00 Uhr

Als würde die Zeit stillstehen – mit voller Ladung am Steuer eines Ledischiffs unterwegs

Von Werner Beerli-Kaufmann

Ich soll um 6.45 Uhr in der Grynau bei Uznach im Kieswerk der Johann Müller AG Schmerikon (JMS) am Ledischiffsteg eintreffen. An der Hafenmole empfangen mich die beiden Schiffsführer Kurt Dubacher und Markus von Aarburg. In wenigen Minuten beginnt das Beladen des Schiffs mit Kies und Sand. Gemäss Auftrag müssen je 97,5 Tonnen Mischkies à 8/16 mm und 16/32 mm sowie die gleiche Menge Mischsand 0/4 mm nach Hurden gefahren werden. Die drei Abteile des Schiffbauchs fassen je 65 Kubikmeter. Die Ladezeit für die 300 Tonnen Material beträgt rund eine Stunde.

Das Schiff muss immer wieder in die richtige Position gezirkelt werden, damit der Inhalt gleichmässig verteilt wird. Dies beeinflusst unter anderem die Manövrierfähigkeit des 40 Meter langen Kahns. Bis 2002 war das Schiff im Steinbruch Schnür im Walensee im Einsatz. Danach wurde es bei Hochwasser via Linthkanal in den Obersee gelotst und umfassend renoviert.

<strong>Kurt Dubachers</strong> ursprünglicher Beruf war Krankenpfleger; jener von Markus von Aarburg Bäcker/Konditor. Seit rund vier Jahren arbeiten die Mannen auf diesem Ledischiff, anfänglich als Schiffsgehilfen. Seit zwei Jahren sind sie im Besitz eines Schiffführerpatents. Um zu einer Prüfung zugelassen zu werden, müssen 150 Tage Einsatz auf dem Ledischiff nachgewiesen werden.

Die Prüfung erfolgt durch das kantonale Schifffahrtsamt und stellt hohe Anforderungen. Laut Markus von Aarburg wird sozusagen blind gefahren. «Fenster und Türen werden abgedeckt, man fährt nur mit Unterstützung von Kompass, Wendeanzeiger und Zeitberechnung mittels Motordrehzahl. Das GPS ist nicht erlaubt, hingegen bei Nebel der Radar.» Im Weiteren gehört auch die Rettungsübung «Mann über Bord» dazu.

<strong>Bereits die Ausfahrt</strong> mit dem 7,5 Meter breiten Schiff aus dem Hafen in den engen Linth-Nebenkanal ist nicht ganz einfach. Dieser führt bis zur Einmündung in den Obersee und ist wohl das romantischste Teilstück der Fahrt. Immer wieder begegnen wir Wasservögeln, dem Fischreiher oder Haubensteinfuss oder verschiedenen Enten. Sie scheinen sich an die sanfte Fahrweise des Riesenviechs gewöhnt zu haben. Angesichts des einschläfernden Tuckern des Schiffsmotors überkommt mich eine fast greifbare, meditative Ruhe.

Erst nach der Einmündung bei der Bätzimatt in den Obersee drückt von Aarburg aufs Gas, was bei voller Last eine maximale Geschwindigkeit von rund 14 Stundenkilometern bedeutet. Kurt Dubacher öffnet die Lucke in den Motorenraum. «Die beiden Schiffsmotoren», erklärt mir der 56-Jährige, «erbringen eine erstaunliche Leistung, obwohl sie zusammen lediglich 204 PS aufweisen. Heutige Lastwagen haben bis zu 500 PS und transportieren vielleicht 25 Tonnen Material. Im Vergleich dazu laden wir 300 Tonnen und verbrauchen lediglich 24 Liter Diesel pro Fahrstunde.»

Allein aufgrund dieser Rechnung seien Transporte mit dem Ledi umweltfreundlicher und kostengünstiger.

<strong>Kurze Zeit überlässt</strong> man gar mir das Steuerruder. «Einfach dort das Hochhaus in Pfäffikon anpeilen», gibt mir Schiffsführer von Aarburg die Anweisung. Immer wieder muss ich leicht Gegensteuer geben. Auf dem Radarbild erkennt man alle Schiffsbewegungen auf dem See, jedoch keine von schwimmenden Menschen oder Tieren. Deshalb ist ständige Konzentration erforderlich.

Kursschiffe haben immer Vortritt. «Achtung: Bei voller Fahrt mit Vollladung beträgt der Bremsweg rund 200 bis 300 Meter», erklärt der 53-Jährige. Im Nu erreichen wir die Abzweigung, die zum Depot Hurden führt, zum Kies- und Betonwerk der JMS. Der Ort sieht einer Lagune ähnlich. Die Fahrt durch den schmalen Einschnitt ist ein Eintauchen in eine andere Welt. Das etwas träge Ledischiff wirkt wie ein Fossil aus vergangener Zeit – ganz im Gegensatz zu den stolzen Villen, die sich aneinanderreihen, und der Boote und Jachten. Manche davon sind wohl mittelmeertauglich.

<strong>Die Löschung der Ladung</strong> geschieht mit dem grossen Schaufelbagger in rund eineinhalb Stunden. Nach der Reinigung von Schiff und Umgebung ist die Heimfahrt auf dem etwas archaisch wirkenden Schiffskoloss nur noch Vergnügen pur: frische Brise, tiefblauer Himmel und über 30 Grad Celsius. Die Schiffsführer haben gute Laune und freuen sich auf das freie Wochenende. Man winkt vorbeifahrenden Schiffen zu und geniesst den Anblick der sich dort auf den Vorderdecks räkelnden Bikinigirls mit ihren stolzen Kapitänen.

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