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«Militär muss wieder die Kontrolle gewinnen»

Das ägyptische Militär hat nach Angriffen mutmasslicher Extremisten seine Präsenz auf der Sinai-Halbinsel verstärkt (siehe Kasten). Friedensforscher Jakob Bar-Siman-Tov schätzt die Situation ein.

Südostschweiz
10.08.12 - 02:00 Uhr

Mit Jakob Bar-Siman-Tov* sprach Susanne Knaul

Herr Bar-Siman-Tov, wer steckt hinter den jüngsten Anschlägen auf der Sinai-Halbinsel und woher haben die Täter ihr modernes Equipment?

Jakob Bar-Siman-Tov: Die Waffen kommen mit grosser Wahrscheinlichkeit aus libyschen Rüstungslagern. Wir wissen, dass nach dem Sturz Muammar el Gaddafis die Lager geplündert wurden. Ein grosser Teil dieser Waffen ist anschliessend in den Sinai geschmuggelt worden, darunter auch Flugabwehrraketen. Bei den Tätern haben wir es mit einem Mischmasch aus Mudschaheddin, aus Anhängern der El Kaida und Beduinen zu tun.

Jahrzehntelang hörte man nichts von den Beduinen im Sinai, dann plötzlich sprengen sie Gasleitungen, massakrieren Flüchtlinge und kooperieren mit Terroristen. Warum passiert das jetzt?

Es geht um Geld. Es wird geschmuggelt, niemand kontrolliert, es herrscht Anarchie. Die Beduinen machen sich das zunutze. Die Attacken zeigen, wie wenig sie damit rechnen, dass die ägyptischen Sicherheitskräfte tatsächlich etwas gegen sie unternehmen werden. Im Sinai leben rund 400 000 Beduinen, die keine Strom- und Wasseranschlüsse haben – und keine Arbeit.

«Im Sinai herrscht Anarchie»

Was sollte unternommen werden?

Es müssen schlicht mehr Truppen geschickt werden, die nach und nach wieder Kontrolle über die Region gewinnen. Ägyptens Armee und Polizei müssen präsent sein, um jene abzuschrecken, die Attentate planen.

Das schwerste Attentat, bei dem 16 ägyptische Soldaten getötet wurden, ereignete sich an einem Grenzübergang zum Gazastreifen. Welche Folgen werden die Ereignisse für die Beziehungen zwischen Kairo und Gaza-Stadt haben?

Kairo fängt an zu verstehen, dass Gaza nicht unproblematisch ist. Die ägyptischen Sicherheitskräfte zerstören Tunnel, durch die auch Waffen in den Gazastreifen geschmuggelt werden. Das ist neu. Gleichzeitig wurden in Kairo aber auch Vorwürfe laut, der israelische Geheimdienst Mossad stecke hinter dem Attentat.

Bedrohen die radikalen Kräfte die Regierung in Kairo nicht genauso wie die Führung der Hamas im Gazastreifen?

Sicher strebt die Hamas danach, die Lage ruhig zu halten. Das Letzte, was die Führung im Gazastreifen braucht, ist ein Konflikt mit Ägypten. Sie hat mit Israel schon genug.

* Professor Jakob Bar-Siman-Tov ist Vorsitzender des Forschungsinstituts für Frieden und regionale Zusammenarbeit an der Hebräischen Universität in Jerusalem sowie Direktor des Swiss Center for Conflict Research, Management and Resolution.

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