×

Mehr Leben als eine Katze

Jens Keller ist um seine gut entlöhnte Aufgabe nicht zu beneiden. Kein Coach der Deutschen Fussball-Bundesliga bekommt die Schnelllebigkeit des Business so offensichtlich vor Augen geführt wie der Trainer von Schalke 04.

Südostschweiz
30.09.14 - 02:00 Uhr

Von Stefan Baumgartner

Fussball. – Monotone Stimmlage, markante Stirnfalten, immer mehr graue Haare und unter dem Sakko eine imaginäre Elefantenhaut: Manchmal scheint es, als habe die Bundesliga Jens Keller massiv altern lassen. Dabei ist der Schwabe erst 43-jährig. Mitte Dezember 2012 ist er von Schalkes Vereinsführung vom Coach der A-Junioren zum Nachfolger von Huub Stevens bestimmt worden. Seither hat kein Trainer der Liga öfter lesen müssen – wenn er denn noch Zeitungen studiert–, sein Job sei massiv gefährdet. Gemessen an der Anzahl Mutmassungen, die Entlassung stehe unmittelbar bevor, hat Keller öfter die Kurve gekriegt als manch ein Formel-1-Fahrer.

Der Meinungsumschwung

Nach dem schwächsten Schalker Saisonstart seit 47 Jahren mit dem Cup-Out gegen Drittligist Dynamo Dresden und sechs Pflichtspielen ohne Sieg stand für die deutsche Presse Kellers Ablösung bereits fest. Mit möglichen Kandidaten soll die Vereinsführung bereits verhandelt haben. So schnell die Kritiker den einstigen Co-Trainer von Christian Gross bei Stuttgart gefährdet sahen, so schnell hat sich der Wind in den letzten vier Spielen gedreht. Beachtliche Leistungen trotz massivem Verletzungspech gegen Bayern München (1:1), in der Champions League bei Chelsea (1:1), gegen Werder Bremen (3:0) und vor allem beim hochemotionalen Sieg gegen Erzrivale Borussia Dortmund (2:1) sorgten für den Meinungsumschwung. Daran stört sich der Betroffene. «Vor zwei Wochen war ich noch entlassen. Heute soll ich unkündbar sein? Das geht mir beides in zu extreme Richtungen», sagte Keller im ZDF.

Wie fühlt sich ein Trainer, über den die «Süddeutsche» in der Spielvorschau auf das Derby – freilich nicht ganz ernst gemeint – schrieb, dass Keller «das einzige Lebewesen sei, das über mehr Leben verfügt als eine Katze (neun)»? Der zehnte Schalker Coach seit 2000 hat in seiner 21-monatigen Amtszeit gelernt, die teils heftige Kritik nicht zu nahe gehen zu lassen. «Druck ist, wenn ein Hartz-IV-Empfänger am 20. des Monats nicht mehr weiss, wie er seine Familie ernähren soll. Oder wenn ein Herzchirurg operiert und es um Leben und Tod geht», sagte der langjährige Bundesliga-Innenverteidiger erst neulich.

Immer eine passende Antwort

Schnell ging vergessen, dass sich «Königsblau» in beiden Saisons unter Keller für die Champions League qualifiziert hat; in diesem Frühjahr nach der besten Rückrunde der Vereinsgeschichte. Oder dass sich in der Neuzeit nur Mirko Slomka (830 Tage) und der einstige Uefa-Cup-Sieger Huub Stevens während seiner ersten Periode auf Schalke (2090) länger im Amt hielten. Noch immer, als er vom Boulevard und vom kritischen Publikum angezählt wurde, hat Keller die passende Antwort geliefert. Eines von vielen Beispielen war das 2:0 gegen Basel im letzten Dezember, mit dem der Verein in den Achtelfinal der Champions League einzog.

Dass er sich nicht alles bieten lässt, zeigte eine Äusserung im deutschen Magazin «Sportbild» vor ein paar Wochen. «Es nervt unheimlich, wenn man seit 20 Monaten gute Arbeit macht und nach einem Spiel sofort hinterfragt wird», sagte Keller. «Das ist unglaublich. Ich will nicht jammern, aber so etwas gibt es bei keinem anderen Trainer.» Derzeit sonnt sich das Schalker Umfeld mal wieder im Hoch. Auch deshalb, weil keine der drei Partien gegen Grossklubs verloren ging. Strauchelt Schalke aber heute Abend in der Champions League gegen den slowenischen Meister Maribor oder am Wochenende auswärts gegen Hoffenheim, kann es schnell wieder ungemütlich werden. Keller weiss Bescheid.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu MEHR