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An Kalb vergangen: zwei Monate Arbeit

Sittlichkeit soll in den Familien herrschen. So will es die Obrigkeit. Im Freulerpalast erfährt man, wie der Staat Widerhandlungen in den letzten 500 Jahren bestraft und welche Handlungen er in welcher Zeit geahndet hat.

Südostschweiz
24.04.14 - 02:00 Uhr

Von Lukas Bertschi

1744 gebar die unverheiratete 26-jährige Barbara V.* einen Sohn. Unter Eid musste sie vor dem Rat den Namen des Vaters des Kindes bekannt geben. Insgesamt habe sie mit neun Ehemännern und zwei ledigen Männern sexuell verkehrt.

Näfels. – Barbara V. wurde mit zwei Stunden mittlerer Gefangenschaft bestraft. Ausserdem musste sie sich eine Stunde lang an den Pranger stellen und wurde danach mit Ruten durch Glarus gejagt.

Weiter wurde sie an Haus, Arbeit und Kirche gebannt, bis sie einen besseren Lebenswandel bewies.

Dies ist an der Sonderausstellung «Tatort Glarnerland – 500 Jahre Kriminalgeschichte» (siehe Box) im Museum des Landes Glarus zu erfahren. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es den Straftatbestand der ausserehelichen Schwangerschaft immer noch, obwohl er sich inzwischen mit den Zwecken des Strafrechts nicht mehr unbedingt vereinbaren liess.

Dank Strafmilderung erwürgt

Heinrich W. wurde 1926 vom Bauer erwischt, wie er mit offener Hose und Haaren eines Kalbes an seinem Hosenschlitz den Stall verliess. Er gestand, sich wegen eines Streits in der Familie an einem Kalb vergangen zu haben. Das Gericht sah darin eine moralisch-sittliche Entgleisung, die durch einen anormalen Geschlechtstrieb zustande kam.

Heinrich W. ist zu zwei Monaten Arbeitshaus verurteilt worden. Das Gericht betonte, dass das entsprechende Gesetz den allgemeinen Niedergang der Gesellschaft in moralisch-sittlichem Sinne verhindern soll, auch wenn eine Gefährdung der Allgemeinheit dadurch nicht bestehe.

Früher umfasste der Begriff der Sodomie unübliche Sexualpraktiken wie Onanie, Analverkehr, Homosexualität oder Sex mit Tieren, schreiben die Aussteller. Heute verstehe man vor allem Letzteres darunter. In der frühen Neuzeit sei der Sodomist verbrannt oder bei Strafmilderung vorher erwürgt worden. Später seien die Strafen immer milder geworden.

Seit 1942 wird das Delikt nicht mehr im Strafgesetzbuch erwähnt. Doch in der Tierschutzverordnung von 2008 wurden sexuell motivierte Handlungen mit Tieren wieder als strafbar aufgeführt und sollen mit Haft von bis zu drei Jahren oder Busse geahndet werden.

Gefängnis wegen Homosexualität

1902 stand Gustav U., Oberportier eines Glarner Hotels, wegen der Ausübung seiner homosexuellen Neigung vor Gericht. Er versuchte, mit zwei Küchenangestellten sexuell in Kontakt zu treten, was ihm aber nicht gelang. Beim Unterportier Hans N. hatte er Erfolg. Hans liess sich für seine Dienste bezahlen. Ausserdem wurde Gustav für ihn erpressbar. Es kam ans Tageslicht, als Hans sich schliesslich stellte.

Das Verhalten von Gustav U. ist vom Gericht als gravierend beurteilt worden, da er sich an einem ihm Unterstellten verging. Er ist daher zu drei Wochen Gefängnis verurteilt worden. Hans N. hingegen wurde freigesprochen, da seine sexuellen Handlungen nicht aus eigenem Antrieb geschehen sind.

Abweichungen vom üblichen Sexualverhalten waren früher – gestützt auf die Bibel – strafbar, ist an der Ausstellung zu lesen. Die Kirche habe sie als Sünde verurteilt, da das Sperma dabei nicht in das «dazu bestimmte Gefäss» gelangte.

Ab 1942 änderte sich dies für den sexuellen Verkehr zwischen Gleichgeschlechtlichen: Homosexualität war kein Straftatbestand mehr. Seit 2007 erlaubt das Partnerschaftsgesetz, dass sich gleichgeschlechtliche Paare im Sinne einer Eheschliessung registrieren lassen können.

Mehr Informationen zu den genannten sowie zu anderen Kriminalfällen gibt es an der Sonderausstellung im Freulerpalast.

* Alle Namen sind von der Museumsleitung geändert worden.

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