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Jetzt braucht es eine grundsatzdebatte

Das Ja des Schweizervolks zur Ausschaffungsinitiative ist der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, vor der die (besonnene) Politik wie das Kaninchen vor der Schlange sitzt.

Südostschweiz
29.11.10 - 01:00 Uhr

Von David Sieber

Bei Verwahrungs- und Minarettverbots-Initiative ging man noch davon aus, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die Verstösse gegen Menschen- und Völkerrecht erkennen und entsprechend handeln würden. Dem war nicht so. Deshalb versuchte man es dieses Mal mit einem präzise formulierten Gegenvorschlag. Wieder ohne Erfolg.Einmal mehr darf sich die SVP als einzig wahre Volkspartei bezeichnen. Ihr Brachialverständnis von direkter Demokratie, wonach das Volk ohne Ausnahme über alles entscheiden kann, hat sich durchgesetzt. Es gibt keine Schranken mehr. Wenn die Wiedereinführung der Todesstrafe eine Mehrheit erhält, dann gibt es in der Schweiz halt wieder Hinrichtungen.Das ist mehr als bedenklich. So ziemlich alles, was sich das Land Henri Dunants, das Land, das die Menschenrechte hütet, an zivilisatorischen Errungenschaften, an Gemeinsinn und sozialem Miteinander erarbeitet hat, ist infrage gestellt. Am gleichen Sonntag – es ist zufälligerweise der 1. Advent – wird die eine Minderheit mit äusserster Härte angegangen, während die andere, die Vermögenden, unter Schutz gestellt wird.Es ist nun höchste Zeit, eine Grundsatzdebatte zu führen. Drängende Fragen müssen geklärt werden. Soll die Schweiz den eingeschlagenen Weg hin zu einer Volksdiktatur weitergehen? Sollen liederlich formulierte Initiativen weiterhin zugelassen werden, auch wenn sie gar nicht umgesetzt werden können, ohne übergeordnetes Recht zu verletzen? Braucht es eine unpolitische Vorprüfung durch das Bundesgericht statt einer politischen durch das Parlament? Wie geht man mit dem Unmut, der Wut, der Frustration um, die die SVP so geschickt zu kanalisieren versteht? Wie kann die immer grösser werdende Kluft zwischen Volk und Politik sowie den Landesteilen überwunden werden?Auf der Insel der Glückseligen ist wahrlich etwas los. Und es sind nicht die äusseren Einflüsse, von denen man sich abzuschotten versucht, welche die Schweiz in Not bringen. Die Existenzkrise ist hausgemacht.

dsieber@suedostschweiz.ch

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