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Jaël: «Man muss den Moment der Magie erwischen»

Die Berner Band Lunik meldet sich nach zwei Jahren Pause zurück und fragt auf ihrem neuen Album: «What Is Next?». Sängerin Jaël spricht mit der «Südostschweiz» übers Erwachsenwerden, wichtige Entscheidungen und folgenreiche Zufälle.

Südostschweiz
01.09.12 - 02:00 Uhr

Mit Jaël Malli sprach Laura Walde

Frau Malli, der Titelsong «What Is Next?» handelt vom Erwachsenwerden und den Zweifeln, die damit verbunden sein können. Sind Lunik erwachsen geworden?

Jaël Malli: Zwischen 20 und 30 probiert man alles aus und hat immer das Gefühl, dass man irgendwann ankommt. Dann wird man 30 und merkt, dass das Erwachsensein ganz anders ist, als man gemeint hat (lacht). Früher habe ich sehr viel geplant, aber heute stecke ich mir nicht mehr ständig Ziele. Denn entweder erreicht man sie nicht und ist dann unglücklich, oder man erfüllt sich seinen Traum und denkt: «Ist es das gewesen?»

«Jeden Moment richtig leben»

Songs wie «Me-Time» oder «Your Tomorrows» hingegen feiern den Augenblick ...

Je älter ich werde, desto mehr komme ich zum Ergebnis, dass man das Hier und Jetzt geniessen muss. Man soll zwar versuchen, den Hunger und die Neugierde auf die Zukunft zu behalten, bis man 130 Jahre alt ist, aber man soll sein Leben nicht darauf ausrichten. Man muss jeden Moment richtig leben.

Resultierte aus dieser Erkenntnis heraus auch die Entscheidung, sich sowohl vom Label wie auch vom Management zu trennen?

Obwohl es so locker klingt, war die Trennung von der ausländischen Plattenfirma ein einschneidender Schritt für uns. Wir haben drei Jahre mit ihnen gearbeitet und je länger je mehr gemerkt, dass sie eine sehr klare Idee davon haben, wie wir klingen und auftreten müssen. Wir haben am Anfang ignoriert, dass das nicht mit unseren Vorstellungen übereinstimmte. Wenn man zehn Jahre hauptsächlich in der Schweizer Szene stattfindet und plötzlich einen internationalen Deal hat, ist das wie ein Sechser im Lotto. Die Erkenntnis, dass wir diese Türe wieder schliessen müssen, hat vieles infrage gestellt.

Kam es deshalb zu zwei Jahren Auszeit?

Wir brauchten Zeit, um wieder zu uns selbst zu finden. Mein Vertrauen in mein Bauchgefühl ist verloren gegangen. Von der alten Plattenfirma hörte man immer wieder Sprüche wie: «Lasst uns einfach machen. Ihr Schweizer habt sowieso keine Ahnung von Musik.» Ein Heilungsprozess war nötig, um wieder zur Überzeugung zurückzufinden, dass ich selbst am besten weiss, wie meine Songs klingen müssen. Irgendwann haben wir dann einfach zu dritt die Arbeit an der neuen CD begonnen. Wir haben das Label vom Studio unseres Gitarristen und Produzenten Luk in Berlin angerufen und gesagt: «Wir nehmen gerade ein neues Album auf. Aber ohne euch.»

Ist es im Vergleich zum Vorgänger komplett anders entstanden?

Der Aufnahmeprozess dauerte fast ein Jahr. Nachdem uns Schlagzeuger Chrigel aus freien Stücken verlassen hatte, haben wir als Trio auf Lipari, in Berlin und Bern gebastelt, herumgespielt und experimentiert. Wir mussten keine teure Studiomiete zahlen, also durften wir vieles aus dem Moment heraus entstehen lassen. Nach 14 Jahren Musik machen habe ich gelernt, dass Kreativität nicht auf Knopfdruck generiert werden kann. Man muss sich Zeit lassen, um den Moment mit der richtigen Magie zu erwischen. Dieses Album durfte sich selber entwickeln, wir sind den Songs sozusagen hinterhergelaufen und liessen uns von ihnen leiten. Es war ein sehr lustvoller und befreiender Prozess für uns.

Als erste Single wurde der Song «Me-Time» ausgekoppelt. Was machen Sie, wenn Sie Zeit für sich brauchen?

Ich bin sehr gerne mit Leuten zusammen, die mir wichtig sind. Wenn ich allein sein möchte, gehe ich raus in die Natur, um zu joggen oder zu spazieren. Oder ich lese in meiner heiss geliebten Hängematte. Neu dazugekommen ist «mein» London. Ich war ganz allein in einer fremden Stadt, in der mich niemand kennt, und habe mir dort ein zweites Leben aufgebaut. Wenn es irgendeinen Grund gibt, bin ich immer froh um ein verlängertes Wochenende in London. Ich lasse mich von Eindrücken bombardieren und gehe danach wieder zurück ins ruhige Bern, um das alles zu sortieren und etwas daraus entstehen zu lassen.

In «A Different You» beschreiben Sie, wie Zufälle und Entscheidungen das Leben verändern können. Gibt es entscheidende Momente, die Ihre Zukunft geprägt haben?

Davon gibt es viele. Im letzten März habe ich einen Bericht von einem Journalisten gelesen, den ich mit 15 in den Ferien in Frankreich getroffen habe. Er kannte jemanden an meinem Lehrerseminar und meinte, ich würde mich sicher gut mit dieser Person verstehen. Tatsächlich wurde das mein erster Schatz, mit dem ich Musik gemacht habe und so im Studio von Lunik landete. Was, wenn ich nicht nach Frankreich gegangen wäre? Dann wäre ich jetzt vielleicht Primarlehrerin.

«Ich lasse mich von Eindrücken bombardieren»

Was kommt als Nächstes für Lunik?

Wir werden sicher konkret darüber diskutieren müssen, ob wir nochmals im Ausland Fuss fassen wollen. Jetzt freuen wir uns aber zuerst über die neue Tournee. Den Auftakt machen wir mit dem Zürcher Kammerorchester, das uns auch auf dem Titelsong begleitet. Ich wollte schon immer einmal eine ganze CD nur mit Orchester und meiner Stimme aufnehmen. Das Warme und Organische der Orchestermusik passt gut zu unseren Songs. Das muss aber nicht übermorgen sein, das kann ich auch mit 90 noch machen ... (lacht)

Lunik: «What Is Next?» (Sony). Die Tournee beginnt am Sonntag, 7. Oktober, in der Tonhalle Zürich. Tourdaten auf www.lunik.com

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