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Italien zwischen Stuhl und Bank

Beim internationalen Waffengang gegen Libyen ist Italien am stärksten Vergeltungsakten Gaddafis ausgesetzt. Die ehemalige Kolonialmacht kann in der aktuellen Krise nur verlieren.

Südostschweiz
21.03.11 - 01:00 Uhr

Von Dominik Straub

Rom. – Während Libyens in die Enge getriebener Diktator Muammar el Gaddafi den ganzen Westen mit einer «Welle des Terrors» bedroht, ist Italien bereits Opfer einer libyschen Retorsionsmassnahme geworden: Gestern ist ein italienisches Schiff im Hafen von Tripolis am Auslaufen gehindert worden; die Besatzung wurde von bewaffneten Männern festgesetzt. Bei den Geiseln handelt es sich laut Angaben der Nachrichtenagentur Ansa um acht Italiener, zwei Inder und einen Ukrainer.

Zwar hat sich Italien bisher nicht aktiv an den Kriegshandlungen gegen Libyen beteiligt; Rom stellt vorerst bloss sieben Militärstützpunkte zur Verfügung. Dennoch ist Italien innerhalb der Anti-Gaddafi-Koalition dasjenige Land, das sich am unmittelbarsten von der Rache des Wüstenherrschers bedroht fühlt: In den Augen Gaddafis ist Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi, mit welchem er noch vor zwei Jahren einen Freundschaftspakt der beiden Nationen unterzeichnet hatte, nun nichts anderes als ein übler Verräter. Das Abkommen hatte ein immerwährendes Verbot feindseliger Handlungen inklusive der Bereitstellung von Basen für Drittmächte vorgesehen.

Nach «Verrat» droht die Vergeltung

Die Beschlagnahme eines Schiffes und die Geiselnahme von dessen Besatzung ist noch das mildeste Mittel, das Gaddafi für seine Vendetta gegen den Ex-Kumpel Berlusconi zur Verfügung steht. Am meisten fürchtet Italien das Zudrehen des Öl- und Gashahns und das gleichzeitige Öffnen der Flüchtlingsschleusen. Mit den Migranten könnten, so die Befürchtung in Rom, auch Terroristen nach Lampedusa und damit nach Italien geschleust werden. In Lampedusa fürchtet man sich nicht bloss vor einer Flüchtlingswelle nie gesehenen Ausmasses, sondern auch vor libyschen Raketenangriffen: Nach dem US-Luftangriff auf Libyen am 15. April 1986 waren schon einmal libysche Scud-Raketen auf dem Eiland eingeschlagen, allerdings ohne Schäden anzurichten.

Einstige Privilegien haben ihren Preis

Auch im Falle einer raschen Beseitigung des Gaddafi-Regimes würde Rom zu den Verlierern der Krise zählen. Denn mit seinem Hofieren und seiner viel zu langen Treue zum Diktator hat sich Berlusconi unter den libyschen Aufständischen keine Freunde gemacht. Diese werden nicht vergessen, dass der italienische Regierungschef noch am 18. Februar, als die blutige Repression gegen die Rebellen bereits eingesetzt hatte, erklärte, er wolle nicht bei Gaddafi intervenieren, weil er ihn «nicht stören» wolle. «Italien wird auch unter einer anderen libyschen Regierung seine privilegierte Stellung verlieren», prognostizierte der «Corriere della Sera». Berlusconi ist in Libyen zwischen Stuhl und Bank gefallen.

Die frühere Unterwürfigkeit gegenüber dem Diktator hat auch Berlusconis Position innerhalb der westlichen Allianz geschwächt. Zum Libyen-Gipfel, zu dem Frankreich am Samstag geladen hatte, ist Italien nicht eingeladen worden. Italien muss praktisch tatenlos zuschauen, wie in der ehemaligen Kolonie die Karten neu gemischt werden – zum Nachteil Italiens, wie man in Rom befürchtet.

Die Ohnmacht Berlusconis widerspiegelt sich auch in der Innenpolitik: Zur Genehmigung der Resolution des UNO-Sicherheitsrats und damit des Militäreinsatzes gegen Libyen im Parlament benötigte die Regierung die Unterstützung der Oppositionsparteien PD und UDC. Die Lega Nord, Berlusconis wichtigster Koalitionspartner, lehnte die Intervention dagegen ab, weil sie eine Flüchtlingswelle aus Libyen befürchtet. Die Regierung brachte keine eigene Mehrheit zustande – und das bei einem Kriegseinsatz, wie die Opposition kritisierte.

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