×

Inglin: «Enormer Effort nötig»

Das Schweizer Männer-Ski-Team ist mit zwei Siegen und vier weiteren Podestplätzen aus Nordamerika zurückgekehrt. Gleichwohl läuft noch längst nicht alles nach den Vorstellungen von Cheftrainer Osi Inglin.

Südostschweiz
10.12.11 - 01:00 Uhr

Mit Osi Inglin sprach David Bernold

Osi Inglin, neben viel Erfreulichem im Speed-Bereich nehmen Sie auch Sorgen wegen des Riesenslaloms mit in die Schweiz zurück.

Osi Inglin: Ich war mir schon vor Saisonbeginn bewusst, dass wir im «Riesen» das härteste Brot zu essen haben. Das tut mir speziell weh. Ich war ja früher Riesenslalom-Trainer und hatte Fahrer um mich, die regelmässig ganz vorne mitfuhren. Realistisch gesehen sind wir im Moment von zwei Fahrern abhängig, die solches leisten können. Damit sich das in Zukunft ändert, müssen wir einen grossen Effort starten, denn im Riesenslalom sind wir auch auf den unteren Stufen international nicht gut vertreten.

Was ist der Grund dafür?

Ich denke, dass in der Vergangenheit wichtige Dinge übersehen worden sind. Da müssen wir in den kommenden Jahren extrem viel investieren. Auch wenn es banal tönt: Der Riesenslalom ist halt nach wie vor die «Mutter aller Disziplinen».

An welche Versäumnisse denken Sie im Besonderen?

Das ist schwierig abzuschätzen. Vor drei, vier Jahren wurde im Nachwuchsbereich begonnen, mit dem Slalom-Input zu arbeiten. Plötzlich wird einem beim Blick auf die Weltranglisten bewusst, dass wir im Slalom bei den Jahrgängen 1992 bis 1995 sehr gut vertreten, dafür aber im Riesenslalom praktisch nirgends mehr sind. Da brauchts wieder die konsequente Förderung.

Wurde das Schwergewicht auf die falsche Seite gelegt?

Auch das ist nicht so einfach zu beantworten. Das Ganze ist sicher auch abhängig vom Fahrer-Typ. Im Slalom wurde begonnen, mit den Jungen spezifischer und systematischer zu arbeiten. Das Gleiche müssen wir nun auch im Riesenslalom tun. Hier sind alle gefordert, auch die Verantwortlichen im Nachwuchsbereich.

«Janka weiss, wie er funktioniert»

Im Weltcup ist derzeit eigentlich alles abhängig von Carlo Janka und Didier Cuche. In den letzten zwei Jahren gab es drei Siege von Janka, einen von Cuche, dazu zwei weitere Podestplätze von Janka.

Im Moment sind wir von Janka und Cuche abhängig. Das macht die Situation nicht einfach. Beide zeigen abschnittsweise, dass sie nach wie vor zu den Besten gehören könnten. Wenn Janka wieder ganz gesund ist, wird er wieder ganz vorne mitmischen, da bin ich überzeugt. Dazu kommt, dass wir gegenwärtig keine ausgesprochenen Riesenslalom-Spezialisten in unseren Reihen haben. In den zwei Rennen hier in Beaver Creek hatten die «reinen» Riesenslalom-Fahrer sicher einen Vorteil. Das soll keine Entschuldigung sein. Fakt ist aber, wenn man diese Rennen frisch angehen kann, zumal auf dieser extremen Höhe, und genug Zeit gehabt hat, das ganze Setup des Materials abzustimmen, tut man sich leichter gegenüber jenen, die zuvor die Speed-Rennen bestritten haben. Aus dieser Warte muss ich sogar den Hut ziehen vor Jankas Leistungen.

Bleiben wir bei Carlo Janka. Können Sie als Cheftrainer auf ihn einwirken? Er hat dieser Tage ratlos gewirkt. Zudem scheint er niemanden so recht an sich herankommen zu lassen.

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Carlo selber weiss, wie er funktioniert. Ich denke, er braucht im Moment keine besondere Aufmerksamkeit. Er weiss selber, was gut für ihn ist. Wir müssen uns auch immer bewusst sein, dass er seit Mitte September nicht mehr in gewohntem Umfang hat trainieren können. Bis zu jenem Zeitpunkt ist er auf einem extrem hohen Level gefahren. Seine Erwartungshaltung ist da natürlich zu Recht in die Höhe geschnellt.

Das macht alles noch bitterer für ihn.

Ja. Er wüsste, dass er auf diesem Niveau fahren könnte, wenn die Probleme mit dem Rücken nicht wären. Das macht ihn verschlossen. Es ist eine normale Reaktion von ihm, dass er sich ein bisschen abkapselt. Ihn selber stört das natürlich am meisten, dass er nicht das zeigen kann, wozu er imstande wäre. Im Moment helfen nur Geduld und Gelassenheit.

Didier Cuche hat in Beaver Creek auch nicht das erreicht, was Sie und er selber erwartet haben.

Die Abfahrt in Beaver Creek ist für einen wie Didier ein ganz spezielles Rennen. Entsprechend viel hat er sich erhofft. Möglicherweise hat er sich zu sehr unter Druck gesetzt, denn sein Ziel war es, auch hier nach der Abfahrt einmal ganz oben zu sein.

Sie denken, dass er hier zum letzten Mal gefahren ist?

Ich hoffe nicht. Denn Didier hat nach wie vor eine sehr wichtige Rolle im Team. So gesehen wäre es schade, wenn dies seine letzte Saison wäre. Wenn er in Lake Louise nicht derart starke Auftritte gehabt hätte, wären wir hier vielleicht auch nicht so erfolgreich gewesen. Er hat damit eine Lanze für die anderen gebrochen.

Sie bemängeln bei Ihren Fahrern den Mut zum Risiko. Marc Berthod nehmen Sie von dieser Kritik aus.

Marc ist keiner, der dosiert und kalkuliert. Er geht aufs Ganze. Das gefällt mir an ihm. Bisher ist das noch nicht aufgegangen. Doch das wird sich irgendwann auszahlen.

Wie wollen Sie vermehrtes Risiko den anderen beibringen?

Wir müssen im Training wieder mehr fordern. Manchmal wird «zu schön», zu kontrolliert gefahren. Sie wollen es fast zu perfekt machen. In den technischen Passagen sind wir in den Rennen vorne dabei. Bei den vermeintlich einfacheren Stellen, wo es gilt, die frechere Linie zu wählen, etwas Unkonventionelles zu probieren, sind wir eher im Mittelfeld. Da vermisse ich das Wagnis, das Suchen nach Limiten und Grenzen. Mit «normalem Runterfahren» gewinnst du heutzutage keinen Blumentopf mehr.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu MEHR