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«Ich hätte mir gewünscht, sein Schüler zu sein …»

Morgen Samstag jährt sich der Todestag des Bündner Musikers, Komponisten und Musikpädagogen Armon Cantieni (1907–1962) zum 50. Mal. Eine künstlerisch-musikalische Lebensskizze.

Südostschweiz
07.09.12 - 02:00 Uhr

Von Christian Albrecht

Es gibt Überschneidungen und Ähnlichkeiten im Leben, die unerklärlich sind. Ihre Wahrnehmung löst Staunen aus und zeigt, wie kleinräumig das (Er-)Leben oftmals sein kann. Armon Cantieni: Seinen Namen hörte ich erstmals aus dem Mund meiner betagten «Schlummermutter». In höchsten Tönen lobte sie ihren Chorleiter, der während über 30 Jahren dem Gemischten Chor Landquart vorstand. Und diesen zu einem musikalisch erfolgreichen Ensemble formte.

Unvergessene Spuren

Armon Cantieni: Der Name tauchte abermals in und nach den Proben des Churer Männerchors Flügelrad auf. Dirigent Cantieni hatte ganz offensichtlich auch hier unvergessene Spuren gelegt, die äusserst positiv im Gedächtnis der Sänger haften geblieben sind. Vor diesem Chor und damit in Cantienis mittelbaren Nachfolge zu stehen, war mir Grund genug, dem Bündner Musiker und vor allem seiner Musik etwas genauer auf den Grund zu gehen.

Armon Cantieni zum Dritten: Die mündliche Aussage eines heutigen Kirchen- und Schulmusikers vor wenigen Tagen lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. «Cantieni – ich hätte mir damals am Lehrerseminar Chur gewünscht, sein Instrumentalschüler zu sein. Seine Bescheidenheit und Güte, seine unverfälschte Echtheit und sein feiner Humor haben mich zutiefst beeindruckt.» Ein erfolgreicher Chorleiter und ein Musikpädagoge also, dessen Ausstrahlung unaufdringlich, aber umso eindringlicher wirkte.

Und der Komponist? Wenn in Armon Cantienis künstlerischer Vita unter anderem der Name von Madame Nadia Boulanger auftaucht, heften sich daran automatisch Erwartungen. Immerhin war diese im Paris der bewegten Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts eine gefeierte Komponistin.

Doch wer im über 100 Titel umfassenden Oeuvre Cantienis nach impressionistischen oder neoklassizistischen Modernismen der damaligen Zeit sucht, wird nur teilweise fündig.

«Seine Chorlieder sprechen unverhohlen die Tonsprache des 19. Jahrhunderts, oft nicht einmal des späten», stellt Stephan Thomas fest und trifft damit genauestens, was Sache ist. Daraus Negatives zu folgern, ist verfehlt. Es war ganz offensichtlich die Zeit (noch) nicht, die Vertonung von heimatverbundener rätoromanischer wie deutscher Chorlyrik in ein modernes musikalisches Gewand zu kleiden – das sollte später Wirkenden vorbehalten bleiben.

Ton der Zeit

Dass Cantienis Volkslieder den Ton der Zeit trafen und diese sogar bis heute überdauern, ist unbestritten. Welcher ehemalige und heutige Churer Stadtschüler hätte denn nicht die Melodie von «Legt die Bücher still zur Seite …» im Ohr?

Deutlich «moderner» im Sinn des oben Dargestellten sind indes Armon Cantienis Instrumentalwerke, teilweise auch seine Chorwerke mit Orchester.

In der b-Moll-Fuge für Orgel und der Klaviersuite «A la Riva da l’En» entpuppt er sich als einer, welcher mit gutem Geschmack Form, Stil und Harmonik zu formen weiss. Und in den gross angelegten Chorpoemen über den 146. Psalm op. 50 und das Jubilate Deo op. 71 fehlt es weder an berührenden Momenten noch an aus sich selbst herausbrechenden, ausdrucksstarken Episoden.

Armon Cantienis Leben ohne seine Tätigkeit als Organist zu skizzieren, wäre unvollständig. Denn er liebte das Orgelspiel über alles. So sehr, dass er während 17 Jahren die Haldensteiner Orgel während der Gottesdienste «schlug» – unentgeltlich und ohne Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln.

Unerwartet, zwei Tage vor seinem 55. Geburtstag, starb Armon Cantieni 1962 in Chur. Vor wenigen Tagen verlor die Rumantschia mit Gion Antoni Derungs (1935–2012) wiederum einen renommierten Tonsetzer, Musikpädagogen und Organisten. Zwei Tage vor seinem 77. Geburtstag. Es gibt Ähnlichkeiten und Überschneidungen im Leben, die unerklärlich sind.

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