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«Heute herrscht ein Mangel an Freiheit»

Mathias Binswanger: So revolutionär ist dieses Konzept gar nicht. Im Grunde haben wir bereits ein garantiertes Grundeinkommen in vielen Ländern in Form der Sozialhilfe.

Südostschweiz
12.04.12 - 02:00 Uhr

Mit Mathias Binswanger* sprach Sermîn Faki

Herr Binswanger, wie stehen Sie als Ökonom zum bedingungslosen Grundeinkommen?

Diese ist allerdings komplizierter organisiert: Man muss einen Antrag dafür stellen.

Sozialhilfe ist also mit Bürokratie verbunden. Ausserdem stigmatisiert sie. Sind Einfachheit und leichte Zugänglichkeit nicht doch Argumente für das bedingungslose Grundeinkommen?

Das bedingungslose Grundeinkommen sieht zwar einfach aus, doch der Teufel steckt im Detail. Das fängt schon bei der Frage an, wer ein Grundeinkommen erhalten soll. Bei Ausländern wird man nicht umhin kommen, Unterschiede zu machen. Zudem wird es Menschen geben, denen ein Grundeinkommen nicht ausreicht, etwa, weil sie wegen Krankheit oder Behinderung besondere Unterstützung brauchen. Auch das scheinbar einfache Grundeinkommen wird also schnell komplizierter.

Man muss nur entsprechende Regeln aufstellen. Das ist doch machbar.

Ja, aber es wird nicht einfach bleiben. Das Grundeinkommen wird nämlich auch Auswirkungen auf das Steuersystem haben. Die Einnahmen der Einkommensbesteuerung werden sinken. Die Befürworter des Grundeinkommens schlagen dann jeweils eine Verlagerung zur Mehrwertsteuer vor. Doch die trifft jene am meisten, die nur das Grundeinkommen haben – was bedeutet, dass sie zusätzliche Leistungen beanspruchen müssen.

Ist das Grundeinkommen finanzierbar?

Ja, es ist eine Frage der Organisation. Ich gehöre nicht zu denen, die meinen, dass viele Leute aufhören würden zu arbeiten – nur schon, weil sie nicht von 2500 Franken, die jetzt als Richtschnur angegeben werden, leben wollen. Ich sehe jedoch die Gefahr zunehmender Schwarzarbeit. Man wird sich zu den 2500 Franken durch Gelegenheitsjobs etwas dazuverdienen und das dann nicht angeben.

Können Sie der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens irgendetwas Positives abgewinnen?

Ich denke, die Befürworter haben Recht mit ihrer Diagnose, dass in der heutigen Arbeitswelt ein Mangel an Freiheit herrscht. Doch den kann man auch anders beheben.

Wie denn?

Arbeitnehmer werden heute dafür bezahlt, sich eine gewisse Zeit an einem gewissen Ort aufzuhalten. Das macht für viele Jobs keinen Sinn mehr. Man sollte das flexibler gestalten und dazu übergehen, die Leute für die Erledigung von Aufgaben zu bezahlen und nicht dafür, neun Stunden im Büro zu sitzen.

* Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Er ist Sohn des renommierten Ökonomen Hans Christoph Binswanger, der sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausspricht.

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