×

Glarner Wachs-Künstler mit Tiefgang

Der Duft von flüssigem Wachs steigt in die Nase. An der Wand lehnt die Türe eines schwarzen Cadillacs. Auf einem Bürostuhl liegt eine schwarze Lederjacke mit dem Emblem der Kölner Polizei.

Südostschweiz
31.01.15 - 01:00 Uhr

Überall hängen und stehen Bilder. Dunkle Gestalten, Frauen, die den Betrachter madonnenhaft anlächeln. Anna Göldi und direkt daneben die brutale Szene eines Mafiamordes. Im Atelier von Patrick Lo Giudice in Niederurnen hört das Staunen nie auf.

«Bist du ein depressiver Mensch?» – «Nein, niemals», sagt Lo Giudice lachend und beginnt, seine Bilder zu zeigen – angefangene Werke wie auch solche, die soeben von einer Ausstellung in Deutschland zurückgekommen sind. Er reisst schnell Klebband und Folie weg, staunt selber, zeigt erfreut, welches Bild es ist, und erzählt sogleich die Geschichten dazu. Und Geschichten hat er viele, denn er vergisst nichts. «Alles, was ich lese, bleibt aus irgendeinem Grund in meinem Gedächtnis hängen, ist jederzeit abrufbar.»

Zurzeit widmet sich Lo Giudice dem Thema Russland mit seinen Oligarchen. Er hat ein neues Projekt ins Auge gefasst, das er mit dem Schweizer Fotografen Willi Spiller umsetzen wird. Den Fotografen braucht Lo Giudice als Grundlage für seine Enkaustik-Bilder.

Dafür druckt er im selbst entwickelten Transferdruckverfahren die Konturen des gewählten Bildes auf eine Wachsplatte. Mit in Wachs einlasierten Pigmenten malt er das Bild weiter und giesst anschliessend Wachs darauf. Schicht um Schicht trägt er auf, bis es die gewünschte Dicke erreicht hat. «Zum Schluss bearbeite ich die ganze Oberfläche sorgfältig mit einer Flamme», erklärt er und betont: «Die eigentlichen Geheimnisse dazu verrate ich natürlich nicht.»

Die Idee, mit der Kunst der Enkaustik-Malerei anzufangen, hatte er, als seine Frau zu Hause im Keller mit Asche und Kerzenwachs bastelte. «Das war für mich die Initialzündung.»

Auf seinem Arbeitstisch in Niederurnen stehen riesige Mengen an Wachsblöcken, die er nach einer eigenen Rezeptur in Deutschland anfertigen lässt und im Atelier langsam für die Verarbeitung schmilzt. Die fertigen Bilder sind oft gross­flächig und entsprechend schwer an Gewicht. Für das Bild von Anna Göldi, das im Göldi-Museum hängt, trug er rund 80 Kilogramm Wachs auf. Diese vielen Wachsschichten geben seinen Bildern sehr viel Tiefe. Der Betrachter glaubt, ein dreidimensionales Bild vor sich zu haben.

Seine ersten Lebensjahre verbrachte Lo Giudice in Sizilien. Diese Zeit war alles andere als behütet. «Mit elf Jahren sah ich den ersten Mafia-Toten in seinem Blut liegen», erzählt er. So ist es denn nicht verwunderlich, dass er einen seiner ersten Zyklen im Rahmen seiner Enkaustic-Arbeiten dem Thema Mafia widmete. Die Ausstellung «Der Lo Giudice Code», die in der Galerie von Andy Jllien in Zürich stattfand, trägt den Untertitel «Cosa- Nostra-Bilder, die nicht mal da Vinci voraussah».

Lo Giudice nahm die Bilder von italienischen Fotografen, die sich den Machenschaften der Mafia widmen, und verewigte sie im Wachs. Er schaut nicht weg, er zeigt auf, ohne dabei anklagend oder voyeuristisch zu wirken. Immer wieder zeigen seine Bilder Blutlachen am Boden, Blut auf Tischtüchern, Blut vom Morden der Mafia. Das Blut ist jeweils die einzige Farbe in seinen dunklen Schwarz-Weiss-Werken. «Rot ist die Farbe des Lebens», so Giudice.

Kaum ein Kind hat so viel gesehen wie dieser Künstler. Seine Eltern hatten nichts beschönigt, zeigten die Realitäten auf, ohne ihn brüskieren zu wollen. Aber er war es, der sich schützend vor seine Mutter gestellt hatte, und nicht umgekehrt. «Vielleicht ist es dieser Teil meiner Vergangenheit, den ich mit dem Mafia-Zyklus verarbeiten wollte», sagt Lo Giudice.

Völlig anders in der Stimmung sind die Bilder, die er zurzeit im Museum in Amden ausstellt. Sie sind im Zyklus «Heidi in wonderland» entstanden. Lo Giudice sieht dies als eine Hommage an Franz Schnyder, den Regisseur des ersten Heidi-Films von 1955. Gleichzeitig lebt er damit seine Heimatgefühle zur Schweiz aus.

Der 55-jährige Künstler ist eigentlich Zahntechniker mit eigenem Labor. Einen grossen Teil seiner Zeit – und vor allem seiner Freizeit – verbringt er aber hinter seinen Wachs- und Farbeimern. Er probiert, tüftelt und ändert, bis alles seinen hohen Ansprüchen entspricht.

Hinter seiner Lebhaftigkeit versteckt sich ein Mensch, der sehr genau, grosszügig und offen ist. Nicht nur seine Bilder bringen die Gäste zum Staunen, sondern such sein Wissen rund um die Geschichte Italiens und die Mafia. Bei so vielen Mafiageschichten kommt unweigerlich die Frage auf, ob er selber auch ein Mafioso sei. Lo Giudice lacht. «Nein, das wäre gar nicht möglich. Wer der Mafia angehört, muss über drei Generationen beidseitig Sizilianer sein und darf über drei Generationen keinen Staatsanwalt in der Familie haben.»

Seinen Hang zum Makabren, den er schon als Kind hatte, den hat er auch heute noch. «Genau diese Bilder sind es, die mir in den Galerien von New York oder Deutschland und auch bei Sammlern wie dem holländischen Kulturminister Hermann Heinsbroeck den grössten Erfolg bringen.»

«Zum Schluss bearbeite ich die ganze Oberfläche sorgfältig mit einer Flamme.»

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu MEHR