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Gesucht: Zweitwohnungen an ruhiger Lage, ohne Fenster

Grenzenlosigkeit: Ein Menschheitstraum, so alt wie die Sehnsucht nach Erleuchtung. Angesichts weiter Horizonte, am Meer oder auf Berggipfeln, streifen uns Ahnungen.

Südostschweiz
04.03.12 - 01:00 Uhr

Von Mathias Balzer

Angesichts des Sternenhimmels oder bei nächtlich angeregtem Gehirnstoffwechsel scheinen wir für Augenblicke Zeugen der Grenzenlosigkeit zu werden. Der unvermeidliche Kater folgt jedoch jeder Grenzerfahrung. Jeder noch so erweiterte Bewusstseinsmoment fällt wieder in sich zusammen. Der Sternenhimmel weicht dem Morgennebel, der weite Horizont entpuppt sich als Illusion, denn geht man auf ihn zu, gelangt man ja wieder an den Ausgangspunkt zurück. Vielmehr als durch Grenzenlosigkeit scheint unser Dasein durch Grenzen bestimmt. Als schaurigste Ausformung zeigt sich die Beschränktheit in der endlichen Lebensdauer unserer Körper.

Vielleicht ist es dieser Schock der Endlichkeit, der uns, quasi schadenfreudig, das Prinzip der Grenze auf alle Lebensbereiche übertragen lässt. Ganz nach der Annahme: Wenn ich selbst begrenzt bin, soll es die Welt auch sein. Schaut man genau hin, umgeben wir uns mit Grenzen, als seien sie ein Universalprinzip. Das sehen wir beim Blick auf unsere Gartenzäune und -mauern, beim grenzüberschreitenden Einkaufen, beim Betrachten von Landkarten oder der eben begonnenen Frühjahrssession in Bern. Ueli Maurer möchte die Grenzen mit Kampfjets absichern. Gegen wen ist nicht klar, denn der Hauptfeind seiner Partei sind ja die Zuwanderer und Asylbewerber. Die Diskussion um deren Unterbringung treibt einem die Schamesröte ins Gesicht. Demnächst schreibt das Parlament wohl einen Wettbewerb aus, in dem der talentierteste Asylunterkunfts-Scout gesucht wird. Dabei gewinnt, wer diejenige Unterkunft findet, die möglichst abgelegen, am schwersten zugänglich, möglichst viele Meter über oder unter Meer liegt und möglichst keine Fenster hat. Dorthin bringen wir dann die jungen Tunesier, die meinen, sie könnten hier abstimmen kommen. Schliesslich ist das hier ja unsere Demokratie.

Grenzprobleme gibt es auch beim Geld, obwohl da die Grenzen durchlässiger sind als bei Menschen. Dummerweise ist das neue Steueramtshilfegesetz im Fall von Drittwelt- oder Schwellenländern nicht anwendbar. Was heisst, dass nigerianisches Geld zwar per Mausklick Grenzen überfliegen kann, die leiblichen Nigerianer aber möglichst schon in Libyen wieder in die Wüste zurückgeschickt werden. Der schwedische Regisseur Ingmar Bergman schrieb zum Thema: «Es gibt keine Grenzen. Weder für Gedanken noch für Gefühle. Es ist die Angst, die immer Grenzen setzt.»

Fragt sich, wie wir sie abbauen könnten, die Angst. Wie wir uns, unserer Sehnsucht nachgebend, der Grenzenlosigkeit annähern könnten. Auch da muss man wohl im Kleinen und beim Experiment anfangen. Ganz konkret könnte man mal den Versuch machen, den Zaun zu den Nachbarsgärten zu öffnen, wenigstens temporär, für eine Gartensaison. Regional könnte man eine Ausschreibung starten, wer seine leer stehende Zweitwohnung als Asylunterkunft zur Verfügung stellt. Im grösseren Rahmen wär es ein Versuch wert, weltweit alle Beschränkungen der Reise- und Niederlassungsfreiheit fallen zu lassen. Sie können sich darauf verlassen, dass ganz schnell konkrete Lösungen auf den Tisch kämen, die es den Tunesiern, Afghanen oder Nigerianern möglich machen würden, zu Hause zu bleiben. Plötzlich wären Kampfjets an der Landesgrenze offensichtlich eine Fehlinvestition.

Der Churer Theatermann Mathias Balzer wirft seine Seitenblicke sonntags alle zwei Wochen.

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