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Gasser: «Ich will nicht missionarisch wirken»

Josias F. Gasser ist ein Überzeugungstäter, das spüren auch seine Wähler. Wie seine Vision einer nachhaltigen Ökonomie zu realisieren ist, wird der neue grünliberale Nationalrat auch in Bern allen klarmachen – egal, ob die das wollen oder nicht.

Südostschweiz
25.10.11 - 02:00 Uhr

Von Stefan Bisculm

Chur. – Um den Ratskollegen im Churer Gemeindeparlament die Vorteile des energieeffizienten Bauens vorzuführen, hatte Josias F. Gasser als neu gewählter Gemeinderat einmal beabsichtigt, während einer Debatte ein physikalisches Experiment vorzuführen. Die Ratsältesten mahnten damals ihren Kollegen, er solle doch bitte den Ratssaal nicht mit einem Schulzimmer verwechseln, woraufhin Gasser die Versuchsanlage widerwillig von seinem Pult räumte.

Gasser, der am Sonntag alle überraschte und mit dem drittbesten Resultat in den Nationalrat gewählt wurde, ist ein Getriebener. Der ökologische Umbau der Wirtschaft ist für den grünliberalen Politiker nicht einfach ein Punkt in einem Parteiprogramm, sondern seine persönliche Mission. Mit fast schon religiösem Eifer setzte er sich in seiner bisherigen Arbeit als Parlamentarier im Churer Gemeinderat und im Grossen Rat für seine Ideale ein.

«Ich will es eigentlich vermeiden, missionarisch zu wirken. Ich bin einfach überzeugt von dem, was ich sage, weil ich alles selber schon umgesetzt habe», erklärt Gasser am Tag nach seiner Wahl. So liess Gasser beispielsweise 1999 beim Bahnhof von Haldenstein für seine Firma, die Baumaterialien Gasser AG, das erste Gewerbepassivhaus in Europa bauen. Der Bau mit der markanten Glas- und Holzfassade begründete damals seinen Ruf als Öko-Pionier. «Wer nicht eine ähnlich starke Überzeugung hat wie ich, fühlt sich in Diskussionen vielleicht vor den Kopf gestossen», sagt Gasser.

Seit Gasser 2009 nach der Wahl in den Churer Gemeinderat zum ersten Mal seinen Fuss auf die politische Bühne setzte, kann die öffentliche Hand nichts mehr bauen, ohne dass der 59-Jährige seine laute Stimme erhebt. Er ist darin so zuverlässig und unerbittlich, dass die Verwaltungsangestellten der Stadt Chur mittlerweile bestrebt sind, Gassers voraussehbare Kritik an einer städtischen Bauvorlage hinsichtlich Energieeffizienz schon im Vorfeld zu berücksichtigen.

Bei Ratskollegen nicht sehr beliebt

Mit seinem unnachgiebigen Diskussionsstil bei ökologischen Themen machte sich Gasser im Churer Gemeinderat und im Grossen Rat nicht nur Freunde. Viele verdrehen mittlerweile die Augen, wenn sich Kollege Gasser zu Wort meldet. Dies hielt ihn bisher aber nicht davon ab, der Ratsmehrheit regelmässig die Leviten zu lesen, wenn diese nicht in seinem Sinne abgestimmt hatte – einen Beliebtheitspreis gewinnt man auf diese Weise freilich nicht.

Gasser braucht das allerdings nicht zu kümmern. Wenn in den letzten Jahren Wahlen anstanden, lächelte zuletzt immer der Spitzenkandidat der Grünliberalen Partei Graubünden in die Kameras. Nach seiner Wahl in den Churer Gemeinderat sagte er gegenüber der «Südostschweiz»: «Mein Massstab wird immer die Nachhaltigkeit sein.» Dieses Wahlversprechen hat er nachweislich gehalten, und das honorieren die Wähler ein ums andere Mal.

Gasser lebt seine Überzeugung

Aufgrund seiner Biografie verkörpert Gasser die Ideale der Grünliberalen Partei in fast vollendeter Weise. Nach dem Anschluss des Wirtschaftsstudiums an der Universität Zürich übernahm er vor 27 Jahren die Firma Baumaterialien Gasser AG von seinem Onkel. Bis heute hat Gasser den Umsatz des Unternehmens vervielfacht und beschäftigt mittlerweile über 100 Mitarbeiter. Trotz beruflichem und finanziellem Erfolg lebt der Unverheiratete immer noch in seiner 60 Quadratmeter grossen Altstadtwohnung, und sein liebstes Fortbewegungsmittel ist seit jeher sein Twike, ein Elektromobil auf drei Rädern. Gasser ist einer, der seine Überzeugung lebt.

Nach seiner Wahl in den Nationalrat will Gasser nun als Churer Gemeinderat und als Grossrat zurücktreten. Wann dies genau passieren wird, lässt er noch offen. In seinem Unternehmen wird er ebenfalls seltener anzutreffen sein, ein operativer Leiter soll ihn dort ersetzen. «Ich muss meine Kräfte einteilen, denn ich habe den Anspruch, in Bern etwas zu bewegen.» Die Öko-Skeptiker sind gewarnt.

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