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Enttäuschender Sieg für Premier Benjamin Netanjahu

Bei der israelischen Parlamentswahl stand der Sieger schon im Vorneherein fest: Premier Benjamin Netanjahu. Laut ersten Hochrechnungen von gestern Abend musste seine Likud-Partei aber herbe Verluste einstecken.

Südostschweiz
23.01.13 - 01:00 Uhr

Von Susanne Knaul

Jersualem. – Strahlender Sonnenschein und Temperaturen um die 25 Grad trieben gestern zahlreiche Israelis schon früh an die Wahlurnen, um den Rest des freien Tages für Ausflüge zu nutzen. Schon am frühen Nachmittag zeichnete sich eine so hohe Wahlbeteiligung ab, wie es sie zum letzten Mal vor 20 Jahren gab. Dabei stand der Sieger schon im Vorfeld fest. Für Premierminister Benjamin Netanjahu stellte sich nicht die Frage, ob er gewinnt, sondern mit welchem Vorsprung er aus dem Rennen hervorgehen werde. Laut Wahlbefragung blieben ihm von 44 Mandaten, die Umfragen seinem Bündnis Likud voraussagten, nur noch knapp über 31. Strahlender Zweiter ist Yair Lapid, der mit seiner Partei «Jesch Atid» auf überraschende 18 Mandate kommt, sollten sich die Hochrechnungen als richtig erweisen (siehe Kasten).

Es geht vor allem um Sozialpolitik

«Ich komme, weil man auf sein Recht zu wählen nicht verzichten darf», sagte ein rund 60-jähriger Mann mit starkem russischen Akzent und ohne grosse Begeisterung. Vermutlich richte er mit seiner Stimme ohnehin wenig aus. Seine Meinung ändere er in seinem Alter nicht mehr. Vergebene Liebesmüh also für die Aktivisten der orientalisch-orthodoxen Schass-Partei, die sich vor einer Schule in Jerusalem versammelt hatten, um noch Unentschlossene für sich zu gewinnen.

«Eine starke Führung, ein starkes Israel», stand auf dem T-Shirt einer Mutter, die zusammen mit ihrer halbwüchsigen Tochter im gleichen T-Shirt vis-à-vis für Netanjahu und seinen Partner Avidgor Liebermann auf Wählerjagd in letzter Minute war. Von den Parteiaktivisten abgesehen herrschte wenig Wahltagsfeierlichkeit.

Gut fünfeinhalb Millionen Israelis waren berechtigt, an einer der über 10 000 Wahlstationen landesweit ihre Stimme abzugeben. Es ging vor allem um Sozialpolitik. Jeder will ein Stück vom Kuchen der Sozialbewegung abhaben, die im Sommer vor zwei Jahren 400 000 Menschen auf die Strasse brachte. Das Thema Sicherheit steht latent im Hintergrund. «Ich passe mich den aktuellen Notwendigkeiten an», sagte ein älterer Taxifahrer, der zusammen mit seiner Frau zur Wahl ging. «Wir brauchen eine Führung, die auf die Sicherheit des Staates nicht verzichtet», sagte er. Die «Bedrohung aus dem Iran» mache ihm Sorge, aber auch die Palästinenser und Syrien, «einfach alle».

Mit dem Thema Friedensprozess ist im Jahr 2013 offensichtlich keine erfolgreiche Politik in Israel zu machen. Nur zwei Parteien schrieben Verhandlungen mit den Palästinensern auf ihre Wahlplakate, die linke Meretz und Ex-Aussenministerin Zippi Livni. Unter den absehbaren Machtverhältnissen in der Knesset haben beide nicht die geringste Chance, etwas auszurichten.

Palästina ist kein Thema

Jerusalem. – Israel hat sich für neue Gesichter in der Politik entschieden. Der von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu angeführte rechte Block hat zusammen mit den ultrareligiösen Parteien die Wahl entgegen allen Prognosen nur äusserst knapp, wenn überhaupt, gewonnen. Er sieht sich einem fast gleich grossen liberal-linken «Bremsblock» gegenüber, der eine erneute Rechtsregierung unter Netanjahu verhindern könnte.

Bleibt Netanjahu trotz schwerster Verluste, die seine nationalkonservative Likud-Partei und die mit dieser zu einer gemeinsamen Liste verbundene nationalistische Israel Beitenu erlitten haben, im Amt, dann nur indem er gleich mehrere Mitte-links- Parteien in seine Regierung aufnimmt. Eigentlicher Wahlsieger ist die neue Zukunftpartei des TV-Stars Yair Lapid, die auf Anhieb zweitstärkste Kraft in der Knesset wurde. Lapid verdankt seinen von den Meinungsforschern nicht vorhergesehenen Erfolg vor allem der Tatsache, dass der israelische Wähler neue Gesichter sehen wollte. So sind auch die Erfolge anderer neuer oder sich erneuernder Parteien zu erklären, während Likud Beitenu keinen einzigen Neuen auf der Kandidatenliste präsentierte. Netanjahus Likud-Beitenu kommt laut ersten Prognosen und Hochrechnungen der drei nationalen TV-Sender auf nur noch 31 Mandate. Vor vier Jahren erhielten die getrennt marschierenden Parteien Netanjahus und seines bisherigen Aussenministers Lieberman insgesamt 42 Mandate, also elf

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