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Ein Iraner im Churer Spargelfeld

Es ist das schon das fünfte Jahr, dass Behruz Gholamhoseinpur für die Gislers Spargeln sticht. Die «Schweiz am Sonntag» hat ihn begleitet.

Südostschweiz
20.04.14 - 02:00 Uhr

Behruz Gholamhoseinpur hat derzeit viel zu tun – die Spargelsaison bei Gislers Churer Spargeln ist nämlich eröffnet

Von Kristina Ivancic (Text) und marco Hartmann (Bilder)

Es ist Mittwoch, 7 Uhr. Noch hat die Sonne die dichte Wolkendecke nicht durchdrungen. Eine kühle Brise weht über das sechs Hektar grosse Spargelfeld im Westen von Chur. Die Temperatur liegt um den Nullpunkt. «Morgen werden wir büssen», meint Hanspeter Gisler nachdenklich. Der Leiter des Betriebs Gislers Churer Spargeln lässt seinen Blick schweifen. Auf den Bergen liegt Neuschnee. Und genau dieser sei das Problem: «Wenn es zu kalt ist, wachsen die Spargeln nicht», erklärt Gisler. Folglich werde es morgen nicht viel zu ernten geben. Bereits jetzt sei es kritisch.

Mühselig kämpfen sich die Arbeiter den Spargeldämmen entlang vor. Reihe für Reihe. Immer wieder springt einer über den 45 Zentimeter hohen Erdwall, um auch die Spargeln auf der anderen Seite des Walls ernten zu können. Bis auf eine Schweizerin seien alles Ausländer – die allermeisten kämen aus Polen, erklärt Gisler. «Sie reisen jeweils Mitte April in die Schweiz, nur um Spargeln zu stechen.» Nach der zweimonatigen Erntezeit kehren sie wieder in ihre Heimat zurück. «Mit dem Geld, das sie hier verdienen, können sie in Polen ein halbes Jahr gut leben», so Gisler.

<strong>Behruz Gholamhoseinpur</strong> ist einer von jenen, die nicht wieder zurückkehren werden. Sein Heimatland, den Iran, hat er vor 14 Jahren verlassen, um in der Schweiz ein neues Zuhause zu finden. Es ist sein fünftes Jahr in Folge, in dem er im Frühling während zweier Mona- te auf dem Spargelfeld arbeitet. «Ist streng», sagt der 47-Jährige in gebrochenem Deutsch. «Im ersten Monat ich immer Rückenschmerzen haben.» Der Iraner muss lachen. «Aber dann es wird Gewohnheit», meint er und lacht erneut. Es ist ein ansteckendes Lachen, das einen zwingt, sich mit ihm zu freuen. Insgesamt ist er ein sehr aufgestellter Mann mit Ausstrahlung.

<strong>Gholamhoseinpur blickt </strong>auf den Erdwall vor sich. Rund um seine haselnussbraunen Augen haben sich jede Menge Fältchen gebildet – Lachfalten. «Hier du zwar nicht viel verdienen, aber ich bin glücklich.» Er habe einen netten Chef und freundliche Mitarbeiter. «Sind gute Leute.» Flink buddelt Gholamhoseinpur die Spargeln frei. Er spreizt Zeige- und Mittelfinger – die Spargel dazwischen – und gräbt sie mit schnellen Zügen frei. Eine etwa 25 Zentimeter lange Spargel kommt zum Vorschein. Er nimmt ein Spargelmesser zur Hand, sticht die Spargel unten schräg durch und legt sie in sein orangefarbenes Körbchen. Innerhalb einer Minute hat er zehn weitere Spargeln in seinem Korb. «Nachher ich muss kochen gehen», erzählt Gholamhoseinpur. Seine drei Kinder bräuchten schliesslich was zu essen.

Gholamhoseinpur zieht seine drei Kinder im Alter von 14, 17 und 21 Jahren alleine gross. Seine Frau habe die Schweiz nach kurzer Zeit wieder verlassen. Sie sei mit der Lebensart der Schweizer nicht zurechtgekommen. «Jetzt bin ich Arbeiter, Hausfrau, Mutter und Vater», meint Gholamhoseinpur und lacht einmal mehr. Seine Sätze beendet er gerne mit einem Lachen. Bereits eine neue Spargel im Visier, fängt er an zu graben. Manchmal gebe es an einem Tag sehr viele Spargeln, manchmal aber auch nur wenige.

<strong>Fünf Stunden arbeitet er</strong> morgens auf dem Spargelfeld, mittags verbringt er Zeit mit seinen Kindern und «Nachmittag bis Abend ich bin Pizzaiolo», so Gholamhoseinpur. Mit strahlenden Augen mustert er sein Gegenüber. «Ich mache Pizza, wie der Gast will. Er will mehr Schinken, er kriegen.» Diese Pizzas bereitet er im Landgasthaus «Rezia» in Malix zu. «Ist auch eine gute Arbeit.»

Gholamhoseinpur bringt den mittlerweile vollen Korb zum Transportwagen. Dieser ist mittlerweile gefüllt mit Hunderten von Spargeln. Während er sie vorsichtig nach Dicke und Länge sortiert, erzählt er von seinem Heimatland. Vor neun Jahren sei er das letzte Mal im Iran gewesen. Auf die Frage, ob er seine Heimat denn nicht vermisse, antwortet er mit einem lang gezogenen «Neeiin». «Aber ich vermisse meinen Vater.» Lange sagt Gholamhoseinpur nichts.

<strong>Als Gholamhoseinpur</strong> auch den letzten Spargel versorgt hat, ergreift er wieder das Wort. «Kinder kosten Geld, und du musst auch Rechnungen zahlen», sagt er. Deshalb reiche es für eine Reise in den Iran nicht. Für einen kurzen Moment zeichnet sich eine Spur der Trauer auf seinem Gesicht ab – die aber sogleich wieder verschwindet. Er sei glücklich, sagt er nochmals. «Viele Leute haben viel Geld. Sie aber sind nicht glücklich.» Er schon. Er habe drei fantastische Kinder, eine Arbeit und viele nette Leute um sich herum. Und das sei im Leben viel wichtiger.

Gholamhoseinpur blickt in den offenen Transporter. Die Spargeln werden jetzt auf den Hof gebracht, um dort gewaschen, sortiert und verkauft zu werden. Seine Arbeit ist aber getan. «Ich bin fertig», meint der Iraner und verabschiedet sich herzlich von seinem Chef. «Er ist wirklich ein tüchtiger Arbeiter», erklärt Gisler, «und immer gut gelaunt, was heutzutage nicht die Regel ist.»

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