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Ein bisschen Verständnis

Die Schweiz ist schon lange ein friedliches Land. Solange ich denken kann schon. Wahrscheinlich sogar noch länger. Das ist im Balkan anders. Hier sind die meisten Länder nicht schon so lange friedlich, wie ich denken kann.

Südostschweiz
24.07.14 - 02:00 Uhr

Von Frédéric Zwicker

Srebrenica, Sarajevo, Mostar, das sind Ortschaften, die ich seit meiner Kindheit kenne. Aus den Nachrichten. Nachrichten aus dem Krieg.

Wir sind jetzt in Sarajevo. Gerade haben wir eine geführte Tour mitgemacht. «Times of misfortune» hiess die Tour. Die bosnische Hauptstadt wurde mehr als drei Jahre lang von Slobodan Miloševics serbischer Volksarmee belagert. Sarajevo war komplett eingekesselt, bis ein Tunnel gegraben werden konnte. Wir haben Geschichten gehört und Bilder und Videos gesehen. Es ist ein gutes Gefühl, wenn einem bewusst wird, dass einem Derartiges Tränen in die Augen treibt.

Stellen Sie sich vor, Sie leben in Zürich, und Zürich wird belagert. Sauberes, nicht vergiftetes Wasser gibt es nur in der Bierbrauerei im Zentrum der Stadt. Wenn Sie Wasser holen müssen, rennen Sie im Zickzack. Sie wollen verhindern, dass Sie auf zerfetzte Kinderleichen treten und dass Ihnen die Scharfschützen in die Beine schiessen. Das tun sie, damit sie weiteren Leuten in die Beine schiessen können, die ihnen helfen wollen. Erst wenn der Menschenhaufen gross genug ist, schiessen sie, um zu töten. Schön effizient.

Ich habe einen Kellner gefragt, ob er die Belagerung erlebt hat. Ich fragte ihn, ob er sich erinnere. «Nur einen Moment bitte», sagte er und kam nicht wieder. Wir haben es gut in der Schweiz. Wir wurden von vielem verschont. Von allem. Nur ein paar schlimme Flüchtlinge haben wir zu ertragen. Versuchen Sie, ein bisschen Verständnis für sie aufzubringen. Sie haben Dinge erlebt, die wir uns glücklicherweise nicht im Entferntesten vorstellen können.

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