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Ein Beamter ist neuer Chef der Piraten Deutschlands

Deutschlands Piratenpartei hat an ihrem Parteitag in Neumünster einen neuen Vorsitzenden gewählt: Bernd Schlömer, Regierungsdirektor im Verteidigungsministerium. Neuer Geschäftsführer wird der Theatermann Johannes Ponader.

Südostschweiz
30.04.12 - 02:00 Uhr

Von Fritz Dinkelmann

Neumünster. – So bunt und fröhlich ungezwungen, wie die Piraten sich in der Öffentlichkeit vermarkten, lief der Parteitag in Neumünster nicht ab. Vielmehr registrierte das Grossaufgebot von Medienvertretern das, was «Spiegel Online» so formulierte: «Auf ihrem Parteitag wirken die Piraten schlaff.» Der Eindruck mag natürlich auch entstehen, wenn die Erwartungen zu hoch gesteckt beziehungsweise falsch sind, aber tatsächlich registrierten Polit-Beobachter mit Erstaunen, dass die Piraten quasi wie erschöpft wirkten von ihrem eigenen Erfolg, beziehungsweise leiseredeten, was in Deutschland seit Monaten so viel Lärm macht. In Berlin und im Saarland schafften es die Piraten auf Anhieb in die Landesparlamente, und bis in 14 Tagen werden sie auch im Landtag von Schleswig-Holstein und dem von Nordrhein-Westfalen sitzen.

Zeichen gegen Rechtsaussen

Mittelfristig sieht es so aus, dass es in Deutschland künftig sieben Parteien gibt, die Politik machen werden, ein Befund, der vor allem für Sozialdemokraten und Grüne bedenklich ist. Denn das Resultat könnte sein, dass nur noch grosse Koalitionen möglich sind, und bei diesen ist die SPD nur die kleine Grösse. Schon gibt es Kommentare, die Bundeskanzlerin Angela Merkel eine dritte Amtszeit vorhersagen, als momentan einzige Profiteurin des Pirateneinbruchs in die deutsche Parteienlandschaft.

Aber dies war in Neumünster kein Thema. Vielmehr strukturierte sich die neue Partei, und dies nicht zuletzt mit einer klaren Abgrenzung gegenüber allen neonazistischen Aktivitäten im Land – und der eigenen Partei: «Die Piratenpartei Deutschland erklärt, dass der Holocaust unbestreitbar Teil der Geschichte ist. Ihn unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit zu leugnen oder zu relativieren, widerspricht den Grundsätzen unserer Partei.» Für diesen Antrag gab es eine 100-prozentige Zustimmung, womit die Piraten geklärt haben, was die anderen Parteien im Vorfeld des Parteitages ultimativ gefordert hatten: eine klare Abgrenzung gegenüber Rechtsextremismus.

Auch wenn Personenkult bei den Piraten verpönt ist: Um ebendiese Personalien ging es am Wochenende ganz entscheidend. Oberpiratin Marina Weisband, das einzige populäre Gesicht der Partei, trat als Geschäftsführerin zurück, mit pointierten Sätzen wie immer, obwohl auch sie wie leicht sediert wirkte: «Wir werden jetzt ernst genommen, es wird gegen uns geschossen», sagte sie in ihrer Abschiedsrede, und auch dies sagte die Studentin: «Wir waren jung und wir waren klein, aber wir haben schon Geschichte geschrieben.»

Rochade an der Parteispitze

So ist es, und Weisband formulierte auch die Geisteshaltung einer Partei, die wesentlich auch eine Jugendpartei ist. Woran glauben Piraten? «Es ist der Glaube daran, dass wir Menschen mehr zutrauen können, als dies im Moment geschieht. Und es ist der Glaube daran, dass wir Menschen vernetzen müssen, weil aus einem Netzwerk die besten Ideen entstehen.»

Ihr Nachfolger im Amt, der Berliner Johannes Ponander, Schauspieler, Regisseur und Autor, möchte künftig ebenso kräftige Akzente setzen. So möchte er, dass nicht immer die gleichen Piraten die Partei in der Öffentlichkeit repräsentieren. Eine seltsame erste Forderung, nachdem die Piraten sozusagen ihr einziges Gesicht an der Front nun verloren haben. Zum neuen Chef der Partei kürten die Delegierten am Samstag mit 66,6 Prozent der Stimmen den Beamten Bernd Schlömer, bislang Parteivize. Seinen Vorgänger Sebastian Nerz wählten die Piraten zum Vize – eine reibungslose Rochade und angesichts der zahlreichen Bewerber um das Amt jedenfalls kein Beitrag für mehr Gesichter.

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