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Ein Aufbruch in ein neues Zeitalter

Wer derzeit von Süden her nach Chur fährt, kann es nicht übersehen: das neue Somedia-Medienhaus. Man breche mit dem 30-Millionen-Franken-Bau in ein «neues Zeitalter» auf, sagt Somedia-CEO Andrea Masüger.

Südostschweiz
01.10.14 - 02:00 Uhr

Mit Andrea Masüger sprach Reto Furter

Herr Masüger, der Medienbranche geht es nicht sehr gut, überall wird gespart – und der Medienkonzern Somedia baut ein neues Medienhaus. Das passt?

Andrea Masüger: Ja, das passt, sogar sehr gut. Dass es der Medienbranche nicht gut gehe, ist zu einem Allgemeinplatz geworden, den man im Detail genau analysieren müsste. Generell ist es sicher nicht so, dass es den Medien schlecht geht. Der Bau des Medienhauses ist für Somedia ein Aufbruch in ein neues Zeitalter. Wir modernisieren uns, nicht nur, weil wir in ein neues Haus ziehen, sondern auch deshalb, weil wir unsere Marken, unsere Produkte, neu aufstellen werden. Die dunklen Wolken, die angeblich über den Medien schweben, wollen wir nicht beschwören.

Wenn man im Hochsprung die Höhe nicht schafft, legt man die Latte höher, um Eindruck zu schinden.

Nein, nein, die Latte bleibt gleich hoch. Man braucht aber schon genügend Sprungkraft.

Somedia scheint das zu haben. Der Neubau ist nicht klein und nicht unauffällig.

Somedia schreibt solide Jahresergebnisse, wir haben keinen Grund zu klagen. Es geht uns nicht schlecht. Wir sind aber Teil der Medienbranche, die derzeit einen Strukturwandel durchmacht. Wir versuchen diesem Wandel mit den richtigen Massnahmen entgegenzutreten. Und eine dieser Massnahmen ist der Bau des neuen Medienhauses. Das mag nach aussen wahnsinnig teurer scheinen, es kostet immerhin 30 Millionen Franken, aber wir haben in Zukunft Synergiegewinne, wir müssen zum Beispiel keine Mieten mehr bezahlen. Der Betrieb kommt uns in Zukunft günstiger als jetzt, wo wir noch an vier Standorten arbeiten.

Ihre Kollegen, die Direktoren der anderen Medienkonzerne, werden sich die Augen reiben. Irgendwas macht Somedia besser.

Viele Medienhäuser haben gebaut in den letzten Jahren, vor allem umgebaut. Wie wir auf die grüne Wiese sind allerdings nur wenige gegangen, das ist richtig. Erneuert haben sich aber sehr viele Konzerne.

Und was, wenn die Krise dann doch noch nach Graubünden kommt? Steht dann ein leeres Haus auf der Wiese?

Wenn eine Krise kommt, dann kommt sie halt. Dann käme sie aber auch, wenn wir nicht umziehen. Wir werden mit dem neuen Medienhaus geringere finanzielle Lasten zu tragen haben als jetzt.

Wirft man sich Tamedia an den Hals? Ringier? Der NZZ?

Nein, wir haben überhaupt keinen Grund dazu.

Oder sammelt man Geld auf den Churer Strassen?

Auch nicht, nein. Das ist alles nicht nötig.

Die Autonomie über die globalen News ist den Medien schon längst entglitten. Twitter weiss alles auch – aber schneller.

Fragen Sie mal am Montagmorgen auf den Churer Strassen, wer sich über Twitter oder via Facebook über die neuste Lage in der Ukraine informiert. Sie werden nicht sehr viele finden, die das tun. Die Informationsbeschaffung läuft über die traditionellen Medien, also über Radio, Fernsehen, online und über Zeitungen, und das wird noch sehr lange so sein.

Und Sie? Masüger auf Facebook? Masüger auf Twitter?

Ich bin persönlich skeptisch. Mich lenkt das ab, man wird dauernd bombardiert mit Privatem, bei dem man sich fragt, ob man das überhaupt wissen muss oder nicht.

Die Medien leben genau davon.

Teilweise schon, ja. Der Witz dabei ist aber, dass die Medien diese Informationen analysieren und in einen Zusammenhang stellen. Der Fall Geri Müller ist ein gutes Beispiel dafür. Diese Analyse hat weitgehend in den traditionellen Medien stattgefunden – und nicht auf Twitter.

Gratis-Onlineportale, Gratiszeitungen in den Zügen und am Bahnhof. Das finden alle toll, ausser die, welche Zeitungen verkaufen wollen.

Das Paradoxe daran ist vor allem, dass jene Verlage an den Gratismedien beteiligt sind, die gleichzeitig Geld mit dem Inhalt verdienen möchten. Langsam setzt sich aber schon die Erkenntnis durch, dass sich diese Medienhäuser ins eigene Knie geschossen haben. Die müssen diese Entwicklung jetzt selber in den Griff bekommen. Somedia hat das nie gemacht, wir haben immer unterschieden zwischen Bezahl-Inhalten und Gratisinhalten.

Somedia hat davon profitiert, dass die Konkurrenz in Graubünden keine ernsthaften Versuche machte, Gratiszeitungen herauszugeben.

Selbstverständlich, ja. Vielleicht hätten wir uns sonst anders verhalten.

In der Krise ruft man nach dem Staat, ruft man nach Medienförderung. Nur: Wird man den Besen, den man jetzt ruft, dann auch je wieder los?

Die Medienhäuser selbst rufen eigentlich nicht nach Medienförderung, eher die Politiker. Die Verleger selbst wünschen sich lieber gute Rahmenbedingungen. Man wünscht beispielsweise, dass die Zeitungsverteilung durch die Post nicht so teuer ist, dass kleine Verlage diese nicht mehr bezahlen können.

Wenn der Staat Geld ausschüttet, direkt oder indirekt, ist das möglicherweise an Bedingungen geknüpft.

Klar, natürlich. Wenn der Fernsehsender A oder die Zeitung B aus dem Bundestopf Geld erhält, sind damit Auflagen verbunden. Dann sind wir nicht mehr weit davon entfernt, dass sich der Staat in die Redaktionen einmischt. Das geht nicht, das ist allen Verlagen klar.

Bei privaten Radio- und Fernsehsendern funktioniert das System.

Dort gibt es Gebühren, wie sie auch die Medien der SRG erhalten. Diese Gelder sind zu einem grossen Teil dafür bestimmt, die hohen Kosten für die Verbreitung von Radio und Fernsehen zu reduzieren. Das ist auch sinnvoll.

Eine Idee ist, dass man die Nachrichtenagentur SDA finanziell unterstützt.

Das ist ein möglicher Ansatz, ja. Die SDA macht fast schon service public, alle Verlage können Texte aus dem SDA-Topf beziehen. Wenn das günstiger wird für die Medienhäuser, ist das eine sinnvolle indirekte Medienförderung.

Wenn Redaktionen dann vermehrt auf deren Beiträge zurückgreifen, sparen die Medienhäuser Geld, weil sie ihre eigenen Redaktionen abbauen können.

Das ist möglich, ja. Es gibt aber keine ernst zu nehmende Redaktion, die sich ausschliesslich auf Agenturberichte stützen will und kann. Wenn jemand deswegen Stellen abbauen würde, wäre das kurzsichtig.

Wenn alle auf subventionierte SDA-Beiträge setzen, steht in allen Blättern das Gleiche. Das verkauft sich schlecht.

So ist es nicht, nein – im Gegenteil. Vergleichen Sie zwei Blätter von 1980 und heute. Ich behaupte, dass der Anteil Agenturmeldungen in den letzten 35 Jahren um mehr als die Hälfte zurückgegangen ist. Die Redaktionen wurden in den letzten 20 Jahren ausgebaut.

Die SDA-Agenturmeldungen sind heute weniger häufig in den Zeitungen zu finden, weil die SDA-Newsmeldungen online erscheinen.

Das mag auch ein Grund sein, ja. Aber es gab früher Zeitungen, die füllten ganze Seiten mit Agenturtexten. Das ist heute anders, wir haben heute ausgebaute Redaktionen. Die «Südostschweiz» beschäftigt zusammen mit der «Aargauer Zeitung» vier Bundeshausredaktoren in Bern, 1980 war es noch eine einzige Person.

Man kann Ihre Aussage ja drehen: Die Zukunft der Medien besteht im Ausbau der Redaktionen?

Man muss heute qualitativ gute Medienprodukte erstellen, ja. Wenn dazu grössere Redaktionen nötig sind, muss jedes Medienhaus entscheiden, ob man das finanzieren will und investieren kann. Ich kenne jedenfalls keinen Verleger auf der ganzen Welt, der Freude daran hat, seine Redaktionen zu verkleinern. Im Gegenteil: Jeder will das publizistische Angebot ausbauen.

Ausgerechnet jetzt, wo alles von der Globalisierung redet, sehen die Medien ihre Stärke vermehrt in der Region.

Innerhalb der Region verbreiten sich weniger Nachrichten, als dies weltweit der Fall ist, weil es halt weniger zu berichten gibt. Das ist das eine. Das andere ist, dass sich der Leser wieder vermehrt für das Regionale interessiert.

Weil er genug hat von der dauernden Globalisierung.

Oder weil er Erklärungen sucht für seinen engsten Lebensraum. Vor 100 Jahren standen auf den vorderen Seiten der Zeitungen Auslandnachrichten, über die Region wurden auf den beiden letzten Seiten ein paar Worte verloren. Heute ist das umgekehrt.

Fokus auf die Region, das heisst auch: Vertiefung, Einbettung.

Ja, und auch Einordnung. Im Internet gibt es keine Hierarchisierung. Redaktionen setzen da Schwerpunkte, vertiefen einzelne Themen, analysieren sie, kommentieren sie. Viele Konsumenten wünschen sich das, sie wünschen sich einen Treuhänder, der für sie den Mediendschungel sichtet und ihnen einen pfannenfertigen Überblick liefert.

Ist das das Ende der Aufklärung, wenn man nicht mehr selbst gewichten und denken will?

Das ist nicht neu. Es gab schon Zeitungen vor der Aufklärung, und das System war bis jetzt immer das gleiche: Es gibt eine Million Meldungen pro Tag, ein Dutzend davon stehen in der Zeitung. Diese Ordnungsfunktion gab es schon immer. Das hat mit der Aufklärung nicht viel zu tun.

Kommentare, Einordnung: Das ist immer auch subjektiv und damit politisch. Die Zeit der neutralen Blätter, wenn es sie je gab, ist vorbei.

Selbstverständlich ist das subjektiv. Wenn jemand eine Zeitung abonniert, gibt er der Redaktion ja den Auftrag, eine solche Wertung und Ordnung in seinem Sinn vorzunehmen. Ein linksdenkender Mensch wird eine links stehende Zeitung damit beauftragen, ein rechtsdenkender Menschen eine rechts stehende Zeitung. Seine politischen Präferenzen kann der Leser setzen, indem er seine Zeitung auswählt.

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