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E-Ticket: Südostbahn prescht alleine vor

Zugverkehr Die ÖV-Branche tut sich mit einem automatischen E-Ticket schwer. Jetzt wollen ihr die Südostbahn und Siemens mit einem Pilotprojekt Dampf machen.

Südostschweiz
26.04.14 - 02:00 Uhr

Thomas Küchler, Direktor der Südostbahn (SOB), redet sich in Fahrt. «Die Schweiz hat beim öffentlichen Verkehr international eine Vorbildfunktion. Nun läuft sie Gefahr, von der technologischen Entwicklung überholt zu werden.» Grund für den Ärger ist das langsame Tempo, das die Mehrheit des Verbands öffentlicher Verkehr (VöV) und die SBB beim seit langem geplanten E-Ticket-Projekt anschlagen. Dies sollte den ÖV für Kunden ohne Abo attraktiver machen, da viele mit den komplexen Tarifsystemen überfordert sind. Nun geht die SOB voran: Im März hat sie mit Siemens einen Wagen des Voralpen-Express mit der nötigen Technik ausgerüstet. Die Bahn und der Hersteller wollen so eine Diskussion anstossen. «Wir fallen nicht den SBB in den Rücken, sondern testen und demonstrieren das System», sagt Heinz Hügle, Leiter Rail-IT bei Siemens Schweiz, auf Anfrage.

Chipkarte oder App

Konkret geht es um «Be in, be out» (Bibo), ein System, das die ÖV-Kunden beim Ein- und Ausstieg automatisch erfasst. Die SOB und Siemens arbeiten auf zwei Schienen: Zum einen soll zuerst ein Teil des Personals mit einer Chipkarte ausgerüstet werden, um Fahrten aufzuzeichnen und die Zuverlässigkeit zu prüfen. «Später soll eine grössere Gruppe, etwa Stammkunden, die Karte erhalten», sagt Hügle. Zum anderen sind ab Mai Versuche von Mitarbeitern mit speziell vorbereiteten Smartphones geplant. «Wir wollen eine Technologie entwickeln, bei der sich das Smartphone im Bahnwagen anmeldet und die Fahrten aufzeichnet.» Handys hätten heute eine so hohe Akzeptanz, dass die Einführung des Systems damit stark vereinfacht würde. Siemens hat die SOB-Kunden bisher nicht informiert. «Die Reisenden werden nicht automatisch erfasst. Es geht vorerst nicht ?um ein breites Publikum», sagt Hügle. Im Klartext: Wer am Pilotprojekt teilnimmt, muss entweder eine Chipkarte haben oder sich auf dem Smartphone anmelden, etwa über eine App. Erst dann wird der Kunde im Zug erkannt. Ziel ist gemäss Hügle, dass bis Ende Jahr beide Technologien funktionieren.

Küchler und Hügle sind zuversichtlich: Das Bibo-System mit der Chipkarte habe Siemens intern bereits erfolgreich in einem Tram in Basel getestet. «Ein Tramnetz mit kurzen Abständen zwischen den Haltestellen ist aber eine andere Herausforderung als die Eisenbahn mit viel längeren Distanzen», so Hügle.

Chancen und Risiken

Der VöV und die SBB als grösste Bahn haben die Pläne für ein E-Ticket 2013 vorerst begraben. Stattdessen soll die ÖV-Karte die bestehenden Abos ersetzen, was den Stammkunden nur kleine Verbesserungen bringt. Küchler reicht das nicht: Die ÖV-Branche müsse das heute komplexe Tarifsystem, etwa bei Einzelbilletten, vereinfachen. «Wenn die Branche ein E-Ticket-System nicht selber einführt, wird es ihr von aussen aufgezwungen.» Siemens wiederum hat viel investiert und würde bei einer definitiven Einführung gerne zum Zug kommen.

Klar ist, dass so ein System nur Sinn machen würde, wenn es flächendeckend eingerichtet wird. VöV-Direktor Ueli Stückelberger begrüsst, dass die SOB auf eigene Faust Erfahrungen sammelt. «Das nützt allen Bahnen.» Er betont aber, dass rund zwei Drittel der ÖV-Kunden mit einem Abo fahren. Sorgen macht Kritikern auch, dass ein E-Ticket Mobility-Pricing ermöglichen würde – und damit günstige Abos wie das GA unter Druck kommen könnten. Doch stoppen lässt sich der Zug wohl nicht mehr: Gemäss der NZZ planen der Kanton Zug und eine andere Firma ab 2016 ebenfalls ein lokal begrenztes E-Ticket-Projekt.

Tobias Gafafer

schweiz@luzernerzeitung.ch

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