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Dort fahren, wo andere nicht fahren

Man nennt sie liebevoll die «Roma». Trotzdem haben Marianne Bruhin und Roger Wintsch nichts mit Fahrenden zu tun – obwohl sie ebenso oft herumfahren; bis ans Ende des Kantons und mit Roma-Bussen.

Südostschweiz
24.05.14 - 02:00 Uhr

Von Martin Meier

Glarus. – «Ro» steht für Roger, «Ma» für Marianne – ergibt zusammengefügt «Roma», den Namen des Reiseunternehmens, das weit über das Glarnerland hinaus bekannt ist. Weil Roger Wintsch und Marianne Bruhin aus Ennenda auch noch dorthin fahren, wo andere nicht mehr hinfahren. Über die schmalsten und steilsten Bergstrecken im Glarnerland – mit ihrem Alpen-Taxi.

«Schlüsselstelle ist 19 Prozent steil»

Seit siebeneinhalb Jahren sind der 44-jährige Wintsch und die 51-jährige Bruhin ein Paar. Seit fünf Jahren führen sie zusammen die Firma. Kinder haben sie zusammen allerdings nicht. «Ausser unseren beiden Vierrädern», sagt Bruhin mit einem Lachen. Und meint damit die zwei Busse; einer mit zwölf und einer mit 20 Plätzen. Der Stolz der Familie.

Gekonnt fährt Wintsch seinen 4x4-Bus in Tierfehd in die Bergstrecke. An Bord sind Tourenskifahrer. «Im Sommer sind es dann Wanderer und Alpinisten, die die Planura- und Fridolinshütte ansteuern oder den Tödi bezwingen wollen», erzählt Wintsch, ohne nur einmal den Blick von der Strasse abzuwenden. Strasse ist zu viel gesagt. Die Route ist schmal, ungeteert und fordert vom Fahrer alles – vor allem höchste Konzentration.

Schwindelerregend hoch, 150 Meter über dem Abgrund der Linthschlucht, führt die Reise über die bekannte Pantenbrücke, die Schriftsteller und Landschaftsmaler europaweit bekannt gemacht haben.

Sieben Kilometer lang ist die Fahrt 500 Höhenmeter hinauf nach Hintersand. «Und immer geht es auf einer Seite abwärts», sagt Wintsch. Die Schlüsselstelle sei die S-Kurve oberhalb der Brücke vor dem Sandwald. Wintsch: «Die ist 19 Prozent steil.»

«Mehrere Hundert Fahrten im Jahr»

Früher sei auch der Tunnel, als er noch enger war, mit Vorsicht zu befahren gewesen, erinnert sich Bruhin. «Da brauchte ich sogar Fahrhilfen – Fähnchen rechts und links des Wagens.» Passiert sei aber nie etwas. Nur einmal habe ein Felsbrocken die Strasse blockiert. «An eine Weiterfahrt war nicht mehr zu denken», erzählt Bruhin. «Da mussten meine Gäste einfach einen längeren Fussmarsch als erwartet in Kauf nehmen.» 30 Minuten dauert die Fahrt nach Hintersand – anderthalb bis zwei Stunden dauert der Fussmarsch.

So manche seien über das Alpen-Taxi froh. «Vor allem wenn sie kaputt von einem Gipfel zurückkehren», sagt Bruhin, die sich immer wieder freut, wenn sie einsam Richtung Tödi fahren darf, während sich im Klöntal die Autos stauen.

«Alleine im ersten Jahr beförderten wir auf 200 Fahrten 908 Passagiere.» Heute seien es wesentlich mehr. Bruhins Lieblingsberg ist der Wiggis mit all seiner Rauheit. Sie, die in Netstal aufgewachsen ist, erinnert sich an den Winter 1999/2000. «Das war wie im Kino.» Ihre erste Staublawine erlebte Bruhin 1981. «Da wurde es plötzlich dunkel. Und was mache ich um nachzuschauen, was passiert ist? Ich öffne die Fenster.»

Auch Wintsch hat seine Lieblingsberge. «Es sind die, auf die ich mit meinem Bus hinauffahren kann.» Heikle Situationen hätten sie noch keine erlebt, sagen beide. «Nur einmal bin ich erschrocken, als mich auf der Autobahn nach Bilten ein Auto rechts überholte – auf dem Pannenstreifen», sagt Bruhin.

«Notfallmässig Arzt gerettet»

Wintsch berichtet lieber über eindrückliche Erlebnisse. «Einmal musste ich fast schon notfallmässig einen ehemaligen Rega-Arzt abholen, der mit drei Gästen beim Abstieg von der Fridolinshütte in ein Gewitter geraten ist – ohne Bergausrüstung und Wanderschuhe.» Ein anderes Mal habe er eine verletzte Frau ins Tal transportiert. «Weil der Krankenwagen nicht hochgekommen ist», so Wintsch.

Wintsch und Bruhin steuern aber nicht nur das Alpentaxi. «Wir fahren auch Gruppen und Hochzeitsgesellschaften – wohin sie wollen.» Und das aus purer Leidenschaft. «Wir beiden haben unser Hobby zum Beruf gemacht», sagt Bruhin strahlend.

Steuerkünstler: Roger Wintsch und Marianne Bruhin besitzen als Einzige die Lizenz, Passagiere über die bis zu 19 Prozent steile Bergstrecke von Tierfehd nach Hintersand zu befördern.

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