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Die SP-Militärpolitik scheitert an der Basis

Das Ja der SP-Delegierten zur Armeeabschaffung am Sonntag hat eine Politik der SP-Führung beerdigt, die in der Basis längst ohne Rückhalt war: Die Genossen wollen lieber keine Armee als eine weltweit operierende.

Südostschweiz
02.11.10 - 01:00 Uhr

Von Niklaus Ramseyer

Bern. – Die Jungsozialisten (Juso) hatten die SP-Parteiführung und deren Militärstrategen gewarnt: Sie legten den SP-Delegierten schon im Herbst 2006 eine Resolution gegen die Militarisierung der Schweizer Aussenpolitik vor: «Die weite Welt erwartet von der Schweiz sicher etwas anderes als bewaffnete Soldaten», argumentierten die jungen Linken damals. Und die Parteileitung konnte ein Ja des Parteitags dazu nur mit viel List und Tücke knapp abwenden.Seither hat die «SP-Militar», wie der legendäre SP-Präsident Peter Bodenmann die Armeepolitiker seiner Partei schon mal nannte, ihre zusehends international ausgerichtete Militärpolitik dennoch weitergeführt und eher noch akzentuiert: Von Neutralität, Milizarmee und Landesverteidigung wollten SP-Strategen mitunter nichts mehr wissen. Dafür sollte die Schweiz der Uno Tausende professioneller «Friedenssoldaten» zur Verfügung stellen. Dies, nachdem eine andere SP-Armee auf dem Papier auch schon mal aus einem stehenden Heer mit bis zu 50 000 Durchdienern bestanden hatte. Zum Einsatz sollten sie vorab in «Friedensmissionen» im Ausland kommen.

Schiffbruch vor Somalia

In der SP-Militärideologie heissen Interventions- und Besatzungsarmeen inzwischen «Friedenstruppen». Sie stellen in «Friedenseinsätzen» den «Schutz der Zivilbevölkerung» sicher. So auch 2009, als SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey für die Teilnahme bewaffneter Schweizer Soldaten an der internationalen Piratenjagd vor Somalia kämpfte: Die Schweizer Armee müsse sich «öffnen und Uno-Aufgaben übernehmen», argumentierten die Berner SP-Nationalrätin Evi Allemann und der SP-Militär-Sektretär Peter Hug damals in einem dicken Papier. Mit ihren «Elitesoldaten» könne die Schweiz der Völkergemeinschaft bei der Piratenjagd entscheidend helfen. Umsonst: Das Parlament versenkte Calmy-Reys Ansinnen klar – auch dank mindestens der Hälfte der SP-Stimmen im Nationalrat.

Juso versenkt Freiwilligenmiliz

Doch die «SP-Militar» hielt auch jetzt noch an ihren weltweit ausgerichteten Armee-Konzepten fest: Zuletzt mit der Forderung nach einer «Freiwilligenmiliz». Diese solle «terroristische Kriminalität» und «Terroranschläge» verhindern helfen. Und vor allem solidarisch mit der Staatengemeinschaft an internationalen Operationen teilnehmen. Mit bis zu 1500 bewaffneten Soldaten könne die Schweiz permanent weltweit präsent sein. Diese «Freiwilligenarmee» koste pro Jahr drei Milliarden Franken, rechnet ein SP-Papier vom September 2008 vor.Diese neuste SP-Armee verteidigte die Parteileitung am letzten Sonntag in Lausanne vehement. Doch die Juso und der antimilitaristische Flügel der Partei führten starke Argumente dagegen ins Feld: «Man kann nicht von oben Bomben runterschmeissen und meinen, unten entstehe dann Solidarität und Gerechtigkeit», warnten sie. Besatzungstruppen seien Besatzungstruppen, auch wenn sie sich «Friedenstruppen» nennen würden. Und: «Staaten und Organisationen, die mit militärischer Gewalt humanitären Interventionismus betreiben», wollten «in Wahrheit lediglich wirtschaftliche und strategische Eigeninteressen mit Waffengewalt durchsetzen». Das wirkte: Die Delegierten stimmten mit 253:199 Stimmen für folgenden Satz im neuen SP-Programm: «Die SP setzt sich für die Abschaffung der Armee ein.» Die «SP-Militar» im Saal reagierte mit Konsternation. Die Juso jedoch freuten sich: Sie hatten damit auch gleich die Freiwilligenmiliz der SP und deren internationale «Friedenstruppen» versenkt – und einige Jahrzehnte kontroverser SP-Militärpolitik (siehe Kasten) beendet.

Die SP war traditionell stets antimilitaristisch. Erst seit 1935 befürworten die Genossen die Schweizer Armee mehr oder weniger kritisch. Damals hatten sie sich angesichts der Bedrohung durch Nazi-Deutschland zur Landesverteidigung bekannt. Nicht zuletzt darum wählte das Parlament mit Ernst Nobs 1943 erstmals einen Sozialdemokraten in den Bundesrat. Nach dem Krieg forderte die SP im Chor mit Milizoffizieren eine Armee aus «Bürger-Soldaten». Und 1964 führte ein Vorstoss des Schaffhauser SP-Nationalrats Walther Bringolf zu einer Armeereform im Sinne einer «kostengünstigen und neutralitätspolitisch unbedenklichen Landesverteidigung».Noch fast bis 2000 befürwortete die SP-Basis mehrheitlich die Neutralität und eine «strukturell nicht angriffsfähige» Milizarmee. Die Partei beschloss bei der ersten Abstimmung zur Armeeabschaffung 1989 Stimmfreigabe. Die Wende kam 2001, als die SP die Ja-Parole zu Auslandeinsätzen der Schweizer Armee fasste – und damit das hauchdünne Ja des Volks ermöglichte. Seither propagierten die Parteileitung und die SP-Vertreter in den Sicherheitspolitischen Kommissionen im Chor mit FDP und CVP das Konzept militärische «Sicherheit durch Kooperation» mit dem Ausland. Diese Entwicklung hat der SP-Parteitag in Lausanne jetzt beendet. (N.R.)

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