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Die Piraten präsentieren sich mit einem neuen Gesicht

Auf dem Radar der Umfrageinstitute war die deutsche Piratenpartei kaum mehr messbar. Doch an ihrem Parteitag in Neumarkt verpassten sich die Piraten ein süffiges Programm und strahlen mit einem neuen Gesicht: Katharina Nocun.

Südostschweiz
13.05.13 - 02:00 Uhr

Von Fritz Dinkelmann

Berlin. – Nach einem beispiellosen Aufstieg in den Jahren 2011 und 2012 zogen die Piraten in den Landtag von Saarland, Schleswig-Holstein und in das Berliner Abgeordnetenhaus. Die Umfrage-Institute attestierten ihnen ein Wählerpotenzial von bis zu 15 Prozent, und die politische Konkurrenz war geschockt. Eine Internetpartei hatte die politische Parteienlandschaft in kürzester Zeit aufgemischt, und Politbeobachter waren sich darin einig, dass diese Piraten den Nerv der Zeit getroffen hatten – auch wenn sie schon damals nervten mit grob ausgetragenen parteiinternen Machtkämpfen. Doch die Dynmik dieser Querelen lähmte die Partei und liess sie in diesem Jahr absaufen. Bei der Niedersachsen-Wahl holten die Piraten mickrige 2,1 Prozent, und seither hörte man praktisch gar nichts mehr von ihnen.

Ein erstes Lebenszeichen

Die etablierten Parteien atmeten tief durch in der Annahme, dass die virtuelle Welt der Piraten an der politischen Realität zerschellt war. Aber dann setzte die Partei am Freitag ein erstes Lebenszeichen, als die Delegierten die 27-jährige niedersächsische Datenschutz-Aktivistin Katharina Nocun zur neuen Geschäftsführerin wählten. Schon ihre Antrittsrede zeigte, dass die von Männern dominierte Partei nun wieder ein medial erfolgversprechendes Gesicht hat, jung, zielstrebig und wohl auch durchsetzungsfähig. Und sie kann reden wie die Kerle: «Verdammt nochmal, wir haben es verdient, dass unsere Kinder nach vorn gebracht werden, weil sie so lange mit Füssen getreten wurden. Und wir müssen uns jetzt, verdammt nochmal, den Arsch aufreissen.» Ein rätselhafter Satz, doch das Traumergebnis von Nocun belegte, dass die Piraten zumindest kapiert haben, dass deren traniger Vorgänger Johannes Ponader die Partei nicht vorteilhaft verkörpern konnte.

Mehr direkte Demokratie gefordert

Am Samstag dann überraschten die «Hauruck-Piraten», wie sie in der Online-Ausgabe der deutschen Zeitung «Zeit» genannt werden, die Beobachter mit einem süffig-rudimentären Wahlprogramm, das die Delegierten im Sauseschritt beschlossen hatten. Die Piraten fordern mehr direkte Demokratie: 100 000 Stimmen sollen eine Volksinitiative möglich machen, und Entscheidungen wie etwa solche über EU-Reformen müssten grundsätzlich vors Volk. Die Partei will ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle durchsetzen und vorgängig einen Mindestlohn einführen. Die digitalen Netzwerke sollen den gleichen Schutz der Meinungsfreiheit erhalten wie die Presse, geheime Online-Überwachung lehnen die Piraten ab. Und, wer mit Cannabis bis zu 30 Gramm erwischt wird, soll straflos bleiben, und die Abgabe zu medizinischen Zwecken erleichtert werden. Die beiden letztgenannten Punkte machen deutlich, dass die Piraten nicht zuletzt den Liberalen Stimmen wegnehmen könnten im Bundestagswahlkampf.

«Ein langfristiges Projekt»

«Freiheit statt Angst ist unser Motto», sagte der Berliner Pirat Martin Delius – das könnte auch die FDP unterschreiben. Delius plädiert im Übrigen für einen proeuropäischen Kurs, was eine Kampfansage ist an die AFD, die euro-kritische Partei Alternative für Deutschland, die ebenfalls mit Steigbügeln in die Bundestagswahl zieht, um die 5-Prozent-Hürde zu nehmen. Doch Stand der Dinge nach der jüngsten Emnid-Umfrage ist, dass die Piraten mit der FDP gleichgezogen haben und nun bei vier Prozent liegen.

Das Wahlvolk zeigt sich also launisch, und entsprechend locker kommentierte die neue Parteimanagerin Katharina Nocun die Möglichkeit, dass es die Piraten im Herbst trotzdem nicht schaffen. Ein Weltuntergang wäre das nicht, «nee, Quatsch. Die Piratenpartei ist ein langfristiges Projekt.» Hoffentlich sieht die Partei das auch so, die am Samstagabend mehrere Delegierte pflegen musste, weil sie nach einem Sitzungsmarathon zusammengebrochen waren. Worauf der Parteitag auf gestern Sonntag verschoben wurde. Da sollte endlich geklärt werden, ob es bei den Piraten künftig Online-Parteiversammlungen geben soll.

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