×

Die Mafia ‘Ndrangheta will an die Kohle von Repower

Über eine Milliarde Euro soll das Kohlekraftwerk, das Repower in Kalabrien plant, letztlich kosten. Auch die Mafia wird versuchen, sich ein Stück dieses Kuchens zu sichern. Ihr Anteil an der Bausumme beläuft sich normalerweise auf vier Prozent.

Südostschweiz
04.10.12 - 02:00 Uhr

Von Stefan Bisculm

Poschiavo. – Nicola Gratteri ist in Italien ein bekannter Anti-Mafia-Staatsanwalt, der aufgrund seines Kampfes gegen die kalabresische Mafia ‘Ndrangheta seit Jahrzehnten unter Personenschutz steht. Radio Televisione Svizzeri hat den Mafiajäger im Rahmen ihrer Reportage «Ombre e carbone» getroffen.

Gratteri wurde zur Rolle der Mafia in Saline Joniche befragt, wo das Bündner Energieunternehmen Repower ein gigantisches Kohlekraftwerk realisieren will. Seine Einschätzungen fallen ernüchternd aus: «Sicherlich wird man von Repower vier Prozent Bestechungsgeld verlangen, man wird ihr vorschlagen, wen sie einstellen sollen und wer die Bauarbeiten macht.»

Mit «man» meint Gratteri die ‘Ndrangheta. Repower will zusammen mit Investoren über eine Milliarde Euro in das Kohleprojekt in Kalabrien investieren; nach Gratteris Berechnungen würden dabei die prallen Taschen der Mafiabosse mit mindestens 40 Millionen Euro gefüllt.

Repower setzt auf Zertifikat

Der Einfluss der Mafia in Kalabrien ist auch Repower bekannt. «Wir setzen uns mit dieser Frage auseinander», versichert Werner Steinmann, Mediensprecher des Unternehmens, gegenüber der «Südostschweiz». «Für uns ist die Einhaltung der italienischen Gesetze in allen unseren zahlreichen Projekten selbstverständlich. Repower wird auch in Saline Joniche alles unternehmen, um auf der richtigen Seite des Gesetzes zu stehen.»

Derzeit ist in Kalabrien aber noch kein Bauentscheid gefallen, das grosse Geld ist folglich auch noch nicht geflossen.

Bis zum Bau des Kohlegiganten, der bei Vollbetrieb jährlich rund 3,2 Millionen Tonnen Kohle verfeuern würde, ist es noch ein langer Weg. Aktuell steckt das Projekt mitten im Bewilligungsverfahren, und die Region Kalabrien hat eben erst Klage gegen die Erteilung der Umweltverträglichkeitsprüfung durch Ministerpräsident Mario Monti eingereicht.

Im Frühjahr hatte sich Repower aus dem norddeutschen Brunsbüttel zurückgezogen, wo ein Kohlekraftwerk von noch grösserer Dimension geplant war. Inzwischen halten verschiedene Beobachter auch ein Scheitern des Kohlekraftwerkprojekts in Saline Joniche für wahrscheinlich.

Wenn das Kohlekraftwerk in Kalabrien allen Widerständen zum Trotz doch noch irgendwann gebaut werden sollte, will sich Repower die Mafia gemäss Steinmann mit der sogenannten Patto di Legalità vom Hals halten. Dies ist ein Zertifikat, das Unternehmen dazu verpflichtet, nicht mit der Mafia zusammenzuspannen. Repower würde beim Bau des Kohlekraftwerks nur mit Firmen Verträge abschliessen, die dem Patto di Legalità beigetreten sind.

Nic Rüdisühli, Präsident des Vereins Zukunft statt Kohle, glaubt nicht, dass es Repower gelingen wird, sich über die mächtigen Mafiaclans hinwegzusetzen. «Das ist eine Illusion. Je grösser die Bausumme, desto grösser ist die Anziehungskraft auf die Mafia. Ohne die Clans wird es bei diesem Projekt nicht gehen», ist der Kohlekraftgegner überzeugt.

Regierung vertraut Repower

Da der Kanton Graubünden mit 46 Prozent Aktienkapital der grösste Teilhaber von Repower ist, erwartet Rüdisühli auch von der Bündner Regierung, dass diese genau hinschaut, wenn Repower in Süditalien Geschäfte macht. Der Bündner Energiedirektor Mario Cavigelli weist eine direkte Einmischung der Regierung in das Kohlekraftwerkprojekt in Saline Joniche aber zurück. «Repower ist ein privates Unternehmen. Aber natürlich erwartet die Regierung von Repower rechtskonformes Verhalten. Da stellen wir höchste Ansprüche.» Bisher, betont Regierungsrat Cavigelli, gebe es keine Anzeichen, dass Repower diese Ansprüche nicht erfülle.

Repower plant ihr Kohlekraftwerk in Kalabrien auf einem verlassenen Industriegelände. Anfang der 1970er-Jahre hatte Rom dort 1300 Milliarden Lire in den Aufbau der Chemiefabrik Liquichimica gesteckt, in der Proteine für Tierfutter produziert werden sollten. Nach nur einem Betriebstag wurde die Fabrik bereits wieder geschlossen, weil sie zu viele Giftstoffe in die Umwelt absetzte.

Repower kaufte das seither verlassene Baugelände 2006 für etwa fünf Millionen Euro. Eine zweite Rate von nochmals fünf Millionen Euro würde bei der Erteilung der Baubewilligung fällig. Mafiajäger Gratteri hat in seinem Buch «Fratelli di Sangue» beschrieben, wie die ‘Ndrangheta am Bau der ehemaligen Chemiefabrik Liquichimica kräftig mitverdiente und wie sie das Hafengelände später für den internationalen Drogen-, Waffen- und Sprengstoffschmuggel benutzte.

Entscheiden muss die Firma

Auf die Frage, ob sich Repower beim Bau ihres Kohlekraftwerks wird an die Mafia-Gesetze halten müssen, meinte Gratteri im Interview mit Radio Televisione Svizzeri: «Bisher war es zumindest so. Ich weiss nicht, ob sich die Dinge ab morgen ändern.» Wenn ein Unternehmen von der Mafia erpresst werde, so Gratteri, müsse am Ende immer die Firma entscheiden, ob sie die Kraft, den Mut, den Willen und den Anstand habe, die Mafia anzuzeigen oder nicht.

«Sicherlich wird man von Repower vier Prozent Bestechungsgeld verlangen»

Nicola Gratteri ist italienischer Anti-Mafia-Staatsanwalt.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu MEHR