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«Die alten Meiler müssen sofort vom Netz»

Das Atomkraftwerk Mühleberg und die beiden Reaktoren in Beznau müssen abgestellt werden. Damit zuzuwarten, wäre verantwortungslos, erklärt Josias F. Gasser nach einem Besuch in Fukushima.

Südostschweiz
18.08.13 - 02:00 Uhr

Josias F. Gasser fordert sofortiges Aus für die AKW Mühleberg und Beznau

Von Ueli Handschin

Gasser ist ein Pionier in Energiefragen. Der Hauptsitz seiner Firma für Baumaterialien in Chur war beim Bezug vor 14 Jahren der erste fast nur mit Sonnenenergie beheizte Gewerbebau in der Schweiz. Gasser hat schon vor Jahren Elektro-Fahrzeuge propagiert, und er ist auf der Strasse stets batteriebetrieben unterwegs. Dieses Jahr hat der 61-Jährige bewiesen: Die Nutzung der Windkraft birgt auch hierzulande grosses Potenzial. Seit letzten März drehen sich bei Haldenstein die Flügel des ersten Grosswindkraftwerks in der Ostschweiz, das er zusammen mit Betriebsökonom Jürg Michel plante und erstellen liess.

Gasser hat sich als Verfechter alternativer Energien schon immer für den Ausstieg aus der Kernenergie ausgesprochen, lange bevor er als Vertreter der Grünliberalen in die Politik eingestiegen und dann in den Nationalrat gewählt worden ist. Jetzt hat er auch hautnah erfahren, um wie viel es dabei geht. Letzten Sonntag ist er von einer Studienreise nach Fukushima zurückgekehrt. Organisiert wurde der Augenschein von Green Cross Schweiz. Die von Michael Gorbatschow gegründete Umweltschutzorganisation versucht, die Langzeitfolgen der Reaktorkatastrophen insbesondere für die Kinder zu lindern.

Zweieinhalb Jahre nach der Katastrophe kann von Normalität in Fukushima keine Rede sein, wie Gasser der «Schweiz am Sonntag» schilderte. Die aus den zerstörten Reaktoren ausgetretene Radioaktivität hat 30 000 Quadratkilometer oder acht Prozent der Fläche Japans verseucht. Das Gelände im Umkreis von 20 Kilometern wurde zum Sperrgebiet erklärt. 160 000 Menschen wurden evakuiert und in Notunterkünften untergebracht. In den am wenigsten belasteten Zonen soll die Bevölkerung bald zurückkehren können, in den stärker belasteten soll dies irgendwann möglich sein. An eine Rückkehr in die am schlimmsten verseuchten Orte ist hingegen nicht zu denken.

Es sind beunruhigende, beängstigende Bilder, die sich den Besuchern im Sperrgebiet boten, rund zehn Kilometer von den geborstenen Reaktoren entfernt. Zum Beispiel beim Bahnhof der Stadt Tomioka. «Da sah alles so aus, als wären die Menschen eben erst geflüchtet», beschreibt Gasser die beklemmende Szenerie. Was der Tsunami zerstört zurückgelassen hat, liegt noch da wie nach der Katastrophe. Und gleich daneben stehen Autos, die nicht einen Kratzer abbekommen haben. Und nirgends gibt es Menschen.

Die Reisegruppe konnte mit der Bevölkerung in den Notunterkünften reden. Viele Familien sind auseinandergerissen worden. Frauen und Kinder sind weg- gezogen, um sich vor der Strahlung zu schützen. Geblieben sind die Männer, weil sie befürchten, anderswo keine Arbeit zu finden. Und geblieben sind die Alten, die ihre Hoffnung nicht aufgeben wollen, bald zurückzukehren. Auch wenn das oft gar nicht möglich sein wird. «Im Grunde genommen sind die Folgen der Reaktorkatastrophe nicht zu bewältigen», so Gassers Einschätzung. Fünf Zentimeter Erde abzutragen, diese in Säcke zu füllen und zu deponieren, sei «absolut absurd», räumten laut Gasser Fachleute als auch Behördenvertreter ein. Die Leute hätten eingestanden, komplett überfordert zu sein, vor allem auch finanziell. Zwar hat die Betreibergesellschaft Tepco Zahlungen geleistet, doch nur schon im Gesundheitswesen wird es jahrzehntelang viel mehr Geld brauchen. Tausende, die an Schilddrüsenkrebs erkranken, müssen behandelt werden, es braucht Vorsorgeuntersuchungen und viel Prävention. Zahlen wird der Staat.

Der Besuch in Fukushima wird sich auf Gassers politische Arbeit auswirken. «Ich werde mich noch vehementer dafür einsetzen, dass wir möglichst schnell aus der Atomtechnologie aussteigen», erklärt er. Die Vorstellung, in der Schweiz könne eine Katastrophe wie in Japan nicht passieren, hält er für naiv. Beim AKW Mühleberg habe sich gezeigt, dass schon ein Hochwasser die Kühlung zum Erliegen bringen könnte. Dass nachgerüstet werden soll, beruhigt Gasser nicht. «Durch Nachrüsten und Flicken wird ein altes AKW nie und nimmer ein neues», gibt er zu bedenken. Selbst der stärkste Stahl erlahme irgendwann.

Käme es in Mühleberg zur Kernschmelze, müsste Bern evakuiert werden, für Gasser ein kaum vorstellbares Unterfangen. Das AKW Mühleberg, aber auch Beznau I und II, die drei weltweit am längsten in Betrieb stehenden Reaktoren, müssten sofort stillgelegt werden, fordert er. Über die Restlaufzeit der AKW in Gösgen und Leibstadt könne man hingegen reden.

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