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Der Sonderbund der Klageweiber

Seit Jahren jammern die grossen Städte in der Schweiz über die Dominanz der Berg- und Randgebiete bei nationalen Entscheidungen. Das Ständemehr blockiere progressive und moderne Lösungen, ein kleiner, konservativer Teil der Bevölkerung bestimme bei gesellschaftspolitisch wichtigen Veränderungen über die urbane, aufgeschlossene Mehrheit.

Südostschweiz
18.03.12 - 01:00 Uhr

Von Andrea Masüger

Dass beim Ständemehr ein Appenzeller massiv mehr Stimmkraft hat als ein Zürcher, ist eine Tatsache. Vor fünf Jahren berief die SP Schweiz deshalb einen «Städtegipfel» ein und forderte an einer lautstarken Tagung in Basel mehr Macht für die grossen Agglomerationen.

Nun ist es für einmal anders gekommen. Bei der Zweitwohnungsinitiative haben die Städter die Bergler an die Wand gestimmt. Und flugs sprachen Regierungs-räte und andere Politiker aus den Tourismuskantonen von Bevormundung und Fremdbestimmung der Berggebiete durch die grossen Stände des Mittellandes. Ja, sie beschwörten regelrecht eine Staatskrise, fantasierten von Knechtschaft und Unterdrückung. CVP-Präsident Christophe Darbellay (ein Walliser) ging gar so weit, für künftige Abstimmungen ein höheres Ständemehr zu fordern. Andere prüfen jetzt eine Volksinitiative zur Stärkung des Föderalismus …

Bei allem Respekt vor Frustrationen, die bei solchen Niederlagen entstehen, sollte man diesen Herren doch wünschen, dass sie zuerst denken und dann reden. Denn dann würden sie merken, dass genau dieses Wechselspiel zwischen Stadt und Land, das mal hie und mal da einen Verlierer produziert, in der Summe den Ausgleich gibt, den die Schweiz so speziell macht. Wer einen einseitigen Sonderfall propagiert, sich stets in die Verliererpose wirft und bei kleins- tem Anlass bereits Sonderbunds-Gelüste hat, der spielt wohl ganz bewusst mit dem Feuer.

Nicht umsonst haben viele Berggebietsvertreter deshalb den Nimbus von wehleidigen Subventionsjägern. Denen nie ein Danke für den Finanzausgleich über die Lippen kommt, bei dem zum Beispiel Zürich jährlich Unsummen an Franken ins Berggebiet schickt. Und just am Tag, an dem die Bündner so laut schimpften, wurde bekannt, dass der Bund den Neubau des Albulatunnels mit 200 Millionen alimentieren wird. Aber klar, ist doch selbstverständlich!

amasueger@suedostschweiz.ch

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