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Der Schwitzanzug in der Zelle

Dominik Zidov ist heute ein international bekannter Thaiboxer. Den Grundstein zur Weltkarriere legte er einst in Graubünden: in der Strafanstalt Realta. Jetzt hat er aus seiner bewegten Lebensgeschichte ein Buch gemacht.

Südostschweiz
25.08.13 - 02:00 Uhr

Dominik Zidov ist heute ein Thaibox-Star – auf den rechten Weg führte ihn ein Bündner Gefängnis

Von Olivier Berger

Mein Blick geht zum Fenster. Viel mehr als Felder gibt es nicht zu sehen – und ich habe ja noch einige Monate Zeit, mir den eintönigen Ausblick einzuprägen.» So erinnert sich Dominik Zidov an seinen ersten Morgen in der Bündner Strafanstalt Realta. Die Aussicht auf die Domleschger Landschaft hatte sich der heute 32-Jährige von Kindesbeinen an konsequent verdient: Zidov, in Zürich und dem nahen Adliswil aufgewachsen, war ein waschechter Gangster. Hinter die Gitter von Realta führte ihn schliesslich der Versuch, an der Zürcher Streetparade im grossen Stil Schwarzgeld unter die Partygänger zu bringen.

«Man kann schon sagen, dass die Zeit in der Strafanstalt Realta dazu beigetragen hat, dass ich meinen Weg gefunden habe», sagt Zidov heute. Im Moment ist er auf Heimatbesuch in der Schweiz, um die Werbetrommel für sein Buch «Bad Boy» (siehe Kasten) zu rühren. Darin erzählt er von seiner kriminellen Jugend, von der Zeit der Läuterung und von seiner Karriere als Thaiboxer. Mit Kampfsport hatte er schon vor der Zeit im Gefängnis begonnen. «In Realta habe ich mich dann aber ernsthaft auf das Training konzentriert», erklärt er.

Dabei legte Zidov einige Kreativität an den Tag, wie im Buch nachzulesen ist. Bei seinem Einzug in die Anstalt wog er bei 1,78 Metern Körpergrösse satte 93 Kilo – bei der Entlassung nach einigen Monaten waren es noch 67 Kilo. «Um schneller mein angestrebtes Gewicht von unter 70 Kilo zu erreichen, brauchte ich einen Sweat Suit, einen Sportanzug aus Plastik, der beim Abschwitzen hilft», schreibt Zidov. Da ein Schwitzanzug in Realta nicht so einfach zu beschaffen war, setzte er auf Selbsthilfe. «Jedes Mal, wenn in der Dusche das Wechseln der Müllbeutel angesagt war, liess ich eine der Plastiktüten mitgehen, schnitt in meiner Zelle Löcher hinein und zog sie mir über den Oberkörper.» So habe er dann weiter trainiert: zum Beispiel mit knapp einer Stunde Seilspringen pro Tag in seiner Zelle. «Wahrscheinlich sah ich ziemlich bescheuert aus bei meinen Übungen», heisst es dazu im Buch. Heute lacht Zidov über die Aktion. «Im Gefängnis wird man halt erfinderisch», sagt er.

Was nach Zidovs Zeit in Realta passierte, liest sich wie ein Märchen. Gewissermassen direkt vom Gefängnis aus führte ihn sein Weg nach Bangkok zu einem alten Bekannten aus der Kampfsportszene. In den Slums der thailändischen Metropole fand er allerdings keine geeigneten Trainingsbedingungen vor, also reiste er weiter in den Nordosten, ins Städtchen Ubon. «Ich kann die Zeit in Ubon in drei Wörtern zusammenfassen», schreibt Zidov. «Friede, Freude, Reisgerichte.» In Ubon entwickelte er sich nicht nur sportlich weiter, sondern auch menschlich. «Plötzlich begann ich Dinge zu würdigen, die ich vorher für selbstverständlich erachtet oder schlicht ignoriert hatte», heisst es im Buch.

In Ubon stieg der frühere Amateur-Thaiboxer Zidov denn auch die ersten Male als Profi in den Ring – zunächst für eine Gage von umgerechnet 15 Euro. «In Zürich bekommt man dafür heute mit viel Glück ein Essen und etwas zu trinken», erklärt er im Buch. «Aber für mich fühlte sich das damals an, als ob ich gerade Millionen gemacht hätte, so euphorisch war ich.» In Thailand kämpfe der Schweizer mit slowenischen und kroatischen Wurzeln nun regelmässig und mit grosser Häufigkeit. «Ich war erfolgreich, schlug viele Gegner, mittelmässige und gute, verlor auch das eine oder andere Mal, vor allem aber gewann ich an Erfahrung und Marktwert.» Innert weniger Monate war es vorbei mit den Kämpfen für 15 Euro – nun flossen 60 bis 80 Euro pro Einsatz. «Das reichte zwar noch nicht für ein luxuriöses Leben, machte das Überleben aber einfacher und gab mir das Gefühl auf dem richtigen Weg zu sein.»

Ein knappes Jahr lang blieb Zidov in der Schwüle des thailändischen Nordosten – bis er sportlich die Chance seines Lebens bekam. Er durfte an «The Contender» teilnehmen, einem Reality-TV-Format, bei dem verschiedene Kämpfer gegeneinander antraten – dem Sieger winkte eine Prämie von 150 000 Euro. Weil sein Mentor wegen einer Verletzung ausfiel, gehörte Zidov nach nur 17 Kämpfen zum erlesenen Kreis, der an dem – bei der Ausstrahlung in Asien höchst erfolgreichen – Sendung mitwirken durfte.

Bei «The Contender» wurde der optisch auffällige Schweizer rasch zu einem der Publikumslieblinge – dies, zumal er sich im Ring wacker schlug, die erste Runde überstand und sich danach erst dem mehrfachen Weltmeister John Wayne Parr geschlagen geben musste. Zu Zidovs Popularität in Asien trug bei, dass er im Kampf gegen den Australier gleich mehrmals zu Boden ging, sich aber immer wieder hochrappelte. Nach dem Ausscheiden aus «The Contender» zog Zidov vom Nordosten Thailands auf die Insel Koh Samui um, wo er bessere Trainingsbedingungen antraf, mehr Einsätze erhielt und wo er übrigens heute noch lebt. Inzwischen ist er ein weltweit bekannter und erfolgreicher Thaiboxer sowie Trainer von vier bis fünf Nachwuchsleuten, die für Furore sorgen.

Ein paar Jahre als aktiver Kämpfer will Zidov noch anhängen, wie er im Gespräch sagt. «So lange der Körper mitmacht, steige ich in den Ring.» Derzeit sei er allerdings verletzt, möglicherweise ist das Kreuzband am Knie gerissen. Das jedenfalls habe die Diagnose in Thailand ergeben. «Ich werde mich aber hier in Europa noch einmal untersuchen lassen.» Die nächsten Termine stehen für den Kämpfer, der unter dem Namen Zidov Akuma – «Zidov Teufel» – in den Ring steigt, bereits an. Im September wird er sein Buch auf einer grossen Kampfveranstaltung in Deutschland vorstellen, daneben warten Interview- und Signier-Termine an.

An Graubünden hat Zidov neben seiner Zeit in Realta noch eine weitere Erinnerung. Zu Gangsterzeiten sei er jeweils an den Wochenenden nach St. Moritz gefahren – zum Skifahren und Drogen verkaufen. Auch das ist im Buch nachzulesen. St. Moritz übrigens würde den geläuterten Kämpfer auch heute noch reizen. «Wer weiss, vielleicht fahre ich wieder einmal hin und gehe auf die Skipiste.»

Auch an die Zeit in Realta hat der 32-Jährige gute Erinnerungen, wie er erklärt. Die Behandlung durch das Personal sei durchwegs gut gewesen. «Wenn man sich anständig benommen hat, waren auch die Angestellten anständig zu einem.» Und schliesslich habe man ihn sogar Thaiboxen trainieren lassen. «Ich habe damals einen Kollegen in Zürich angerufen, der einen Laden für Kampfsportbedarf hatte, der durfte uns sogar Material schicken», erklärt er. Nicht nur, weil die Zeit dort einen Wendepunkt in seinem Leben markiert hat, findet Zidov heute: «Realta ist wirklich ein gutes Gefängnis.» Und all das trotz der tristen Aussicht auf Weiden.

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