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Der neue «Plan» für die Rumantschia

In den 80er-Jahren entwickelte Bernard Cathomas für den Erhalt des Romanischen einen 7-Punkte-Plan. Sind die damals geforderten Punkte heute, 30 Jahre später, alle in Erfüllung gegangen? Und welche Punkte würden Sprachexperten heute für die Zukunft des Romanischen aufstellen? Annetta Ganzoni zählt auf.

Südostschweiz
30.09.14 - 02:00 Uhr

Punkt 1: Ein Sprachgebiet mit rechtlichem Schutz für die angestammte Sprache

«Das Sprachenrecht ist heute, gestützt auf das Grundrecht der Sprachenfreiheit und auf das Territorialitätsprinzip, sowohl auf Bundes- wie auf Kantonsebene gewährleistet. Es geht nun darum, dieses Recht im Sinne einer Spracherhaltung und Sprachförderung umzusetzen – und jedenfalls im Sinn der betroffenen Bevölkerung.»

Punkt 2: in diesem Gebiet eine solide wirtschaftliche Grundlage

«In den wirtschaftlich prosperierenden Tourismusregionen ist die Sprache am stärksten unter Druck. Um die rätoromanische Bevölkerung in der von Abwanderung betroffenen, strukturschwachen Peripherie zu stützen, in denen die Sprache prosperiert, ist eine wirtschaftliche Diversifizierung wichtig.»

Punkt 3: eine konsequente Verwendung der Sprache in allen Bereichen

«Die Verwendung der romanischen Sprache durch Gemeinden, Regionen, Kanton und öffentlich-rechtliche Körperschaften ist dann effizient, wenn sie von der Bevölkerung rezipiert wird. Es wäre beispielsweise interessant zu untersuchen, inwiefern die seit Jahrzehnten viele der begrenzten Ressourcen absorbierenden Amtsschriftenübersetzungen tatsächlich bei den Rätoromanen ankommen.»

Punkt 4: eine gemeinsame Schriftsprache für den überregionalen Gebrauch

«Als Kanzlei-, Übersetzungs- und Mediensprache war der Standardsprache Rumantsch Grischun (RG) vorerst rascher Erfolg beschieden. Insbesondere der Versuch, RG flächendeckend als Alphabetisierungssprache einzuführen, provozierte jedoch eine starke Abwehr. Der erfolgreiche Widerstand gegen solche Massnahmen von oben darf hingegen als unerwartetes und erfreuliches Bekenntnis der Bevölkerung zu ihrer traditionsgebundenen Kleinsprache verstanden werden.»

Punkt 5: ausgebaute Massenmedien

«Auch bei den bestens ausgestatteten Massenmedien stellt sich die Frage, inwiefern sie die Bevölkerung ansprechen. Ein interaktives Nachrichtenportal könnte sich als innovatives Medium zur Förderung der Meinungsvielfalt und des Austauschs profilieren.»

Punkt 6: einen positiven Umgang mit der Mehrsprachigkeit

«Für gebildete und weniger gebildete Bündnerromanen ist die Mehrsprachigkeit seit historischen Zeiten eine Selbstverständlichkeit und eine wichtige professionelle Ressource. Eine verantwortungsvolle Bildungspolitik sollte sich darum bemühen, auch den jungen Generationen die Grundlagen dieser Sprachkompetenz zu vermitteln. Ebenso ist der Sprachausbau von der Bezugnahme auf romanische Sprachen wie Italienisch und Französisch abhängig, die einseitige Fixierung auf das Deutsche vieler Instanzen hingegen wenig produktiv.»

Punkt 7: die friedliche Koexistenz mit den anderen Sprachen

«Das Zusammenleben der Sprachgemeinschaften sollte von gegenseitiger Wertschätzung geprägt sein. Dazu gehört die Berücksichtigung des Willens und der Interessen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen.»

Was wären Ihre drei neuen Punkte?

«Erstens: Ausrichtung der Sprachförderung auf die Bedürfnisse der romanischen Bevölkerung: Die letztlich aus Steuereinnahmen generierte Sprachförderung sollte in erster Linie die Kernkompetenzen aufbauen, die der Kleinsprache die für ihre Entwicklung nötigen Instrumente garantieren, zeitgemässe Lehrmittel etwa, Jugend- und Erwachsenenbildung und die Unterstützung eines vielfältigen Kulturschaffens.

Zweitens: Sprachförderung bedeutet Kommunikationsförderung: An unterschiedlichen kulturellen Veranstaltungen, die auch einen Austausch der verschiedenen Generationen und eine Integration Anderssprachiger ermöglichen, zeigt sich viel Kreativität und Begeisterung. Teure PR-Manifestationen, wirklichkeitsfremde Ideologien und herablassende Besserwisserei hingegen sind vielen Bündnerromanen gründlich verleidet. Drittens: Sprachfördervereine sind überholt: Die Lia Rumantscha hat sich zunehmend isoliert. Die verfehlte Politik in Sachen RG dieser Empfängerin umfangreicher Fördergelder ist ein eindrückliches Beispiel dafür, dass sich eine staatliche Unterstützung der Sprachminderheiten auf demokratisch legitimierte Gremien abstützen muss.» Sabrina Bundi

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