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Der italienische Fussball in der Krise

Italiens Fussball bleibt der Spiegel des Landes: Die am Wochenende gestartete Serie A, einst als «schönste Liga der Welt» gepriesen, befindet sich in einer Dauerkrise und scheint nicht reformierbar zu sein.

Südostschweiz
01.09.14 - 02:00 Uhr

Von Dominik Straub

Fussball. – Zu sagen, die italienischen Tifosi hätten dem Beginn der neuen Fussballmeisterschaft entgegengefiebert, wäre übertrieben. Der Verkauf von Saison-Abonnements verlief, wie so oft in den vergangenen Jahren, schleppend; gegenüber der Saison 2013/14 wurden rund 50 000 Jahreskarten weniger verkauft. Dabei war schon die vergangene Saison mit durchschnittlich 23 000 Zuschauern pro Spiel die schlechteste aller Zeiten gewesen. Zum Vergleich: Die Spiele der deutschen Bundesliga wurden von durchschnittlich 43 000 Zuschauern im Stadion verfolgt – also von fast doppelt so vielen.

Tiefpunkt in Sachen Gewalt

Veraltete, unwirtliche Stadien, überhöhte Ticketpreise sowie die ständig wiederkehrende Gewalt von 80 000 polizeilich registrierten Hooligans halten immer mehr Fans vom Besuch der Spiele ab. Aus Angst vor Ausschreitungen wird das Römer Olympia-Stadion vor dem Stadtrivalen-Derby zwischen AS Roma und SS Lazio jeweils von hunderten Polizeibeamten in Kampfmontur grossräumig abgeriegelt; trotzdem kommt es praktisch immer zu bürgerkriegsähnlichen Strassenschlachten. Ein Tiefpunkt bezüglich Gewalt wurde beim Cupfinal im Mai erreicht: Ein rechtsextremer Römer Ultra hatte vor dem Spiel ausserhalb des Stadions einen Fan aus Neapel niedergeschossen. Der 30-Jährige starb zwei Monate später. Um den Cupfinal zwischen der AS Roma und der AC Fiorentina überhaupt anpfeifen zu können, mussten die Vereinsfunktionäre im Stadion erst in langen Verhandlungen die «Erlaubnis» vorbestraften neapolitanischen Hooligan-Chefs einholen.

Zu den maroden Stadien und den Skandalen gesellt sich die immer offensichtlicher werdende sportliche Erfolglosigkeit auf internationaler Ebene. In der Champions League 2013/14 hat es keiner der drei italienischen Vereine (Juventus Turin, AC Milan, SSC Neapel) auch nur bis in die Viertelfinals geschafft. Im kommenden Wettbewerb werden gar nur zwei Teams, Meister Juventus und die AS Roma, die italienischen Farben vertreten, und dies eher als Aussenseiter. Zur Erinnerung: Zwischen 1989 und 1998 hatten sich die Italiener für neun von zehn Finals des Cups der Landesmeister qualifiziert; vier davon haben sie gewonnen. Von den sieben Uefa-Pokal-Endspielen zwischen 1989 und 1995 hatten die italienischen Vereine deren sechs gewonnen. Die Serie A war in den Neunzigerjahren und zu Beginn des neuen Jahrtausends nicht nur die schönste, sondern auch die stärkste Liga der Welt gewesen. Tempi passati.

Der Niedergang des «Calcio» widerspiegelt die Dauerkrise, in welcher sich das Land auf wirtschaftlicher und politischer Ebene seit Jahren befindet. In den Neunzigerjahren war Italien zur fünftstärksten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen; das Belpaese hatte zuerst Frankreich und dann England hinter sich gelassen. Doch ausbleibende Reformen und die massive Schuldenmacherei unter Silvio Berlusconi haben Italien anschliessend Rang um Rang abrutschen lassen. Die Finanzkrise 2008 und die Schuldenkrise ab 2011 haben der italienischen Wirtschaft anschliessend den Rest gegeben: In den vergangenen fünf Jahren ist die Industrieproduktion um einen Viertel eingebrochen, fast jeder zweite Jugendliche ist heute ohne Arbeit.

Auch die Grosserfolge im Fussball waren nicht nachhaltig gewesen, denn letztlich beruhten diese auf Millionen-Investitionen, welche die Vereine aus eigener Kraft gar nicht aufbringen konnten. Milliardäre wie Milan-Präsident Berlusconi oder der Moratti-Clan beim Stadtrivalen Inter kauften Stars wie Ruud Gullit, Marco van Basten und Lothar Matthäus; in Turin spielten Zinédine Zidane und David Trézéguet, in Neapel Diego Armando Maradona.

Millionenlöcher in den Bilanzen

Trotz der grosszügigen Zuschüsse aus den Privatschatullen der Mäzene klafften in den Bilanzen der führenden Vereine der Serie A schliesslich dreistellige Millionenlöcher. Napoli und die Fiorentina gingen pleite und wurden zwangsrelegiert, der Transfermarkt brach zusammen – und erholte sich bis heute nicht.

Die wahnwitzige Geldverschwendung und die damit einhergehende Vernachlässigung des eigenen Nachwuchses hatte auch Folgen für die Nationalmannschaft: Nach dem Gewinn des Weltmeistertitels im Jahr 2006 durch die «goldene Generation» um Fabio Cannavaro, Gigi Buffon, Alex del Piero, Gennaro Gattuso und Andrea Pirlo schieden die Azzurri an den Endrunden in Südafrika und Brasilien zweimal hintereinander schon in der Vorrunde aus. Und das Schlimme daran: An beiden Turnieren verlor die Mannschaft gegen eher mediokre Gegner – «ohne ein einziges Mal gekämpft und den Eindruck hinterlassen zu haben, wirklich gewinnen zu wollen», wie die «Gazzetta dello Sport» nach der entscheidenden Pleite in Brasilien gegen Uruguay bitter anmerkte.

Verschossener Reform-Penalty

Nach dem Ausscheiden in Brasilien legten sowohl Trainer Cesare Prandelli als auch Verbandspräsident Giancarlo Abete ihre Ämter nieder, um einem Neuanfang den Weg zu ebnen. Der «Corriere della Sera» bezeichnete die Niederlage gegen Uruguay und die beiden Rücktritte als «Stunde Null» im italienischen Fussball. Als Gelegenheit für einen Bruch mit der Vergangenheit und erster Schritt in eine bessere Zukunft hätte sich insbesondere die Wahl eines neuen Verbandspräsidenten angeboten. Der Penalty wurde grandios verschossen: Die Delegierten haben sich vor zwei Wochen für den 71-jährigen langjährigen Funktionär Carlo Tavecchio entschieden, obwohl dieser mit einem rassistischen Spruch gegen afrikanische Spieler in Italien für seine Kandidatur geworben hatte.

Tavecchio trägt das Alte schon in seinem Namen (vecchio = alt) und ist ein Garant dafür, dass im «Calcio» weiterhin alles seinen gewohnten Lauf nimmt. Genau deswegen haben ihn die Vereinspräsidenten unterstützt: Bei einem echten Neuanfang hätten sie ebenfalls in Pension gehen müssen. Es ist wie in der Politik: Die Kompetenz für Reformen haben diejenigen, die am meisten vom Status Quo profitieren – und sich deshalb am meisten vor Veränderungen fürchten. Der italienische Fussball ist auch in seiner Erstarrung ein Spiegelbild des Landes.

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