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Den Alltag in Sekunden gelöscht

Schlagzeilen verblassen. Die Geschichten dahinter können nicht abgestreift werden. Nach einem tödlichen Verkehrsunfall bei Eschenbach erzählen der Vater und die Schwester des Getöteten, wie sie mit dem Verlust und der Trauer umgehen.

Südostschweiz
23.11.14 - 01:00 Uhr

Ein Verkehrsunfall bei Eschenbach entriss ihnen den Sohn und Bruder – Die Angehörigen erzählen

Von Urs Schnider

Nun fehle nur noch der Grabstein, sagt Renato P.*. «Wir haben uns bewusst Zeit gelassen mit der Auswahl.» Der Stein stammt aus Kanada. Dorthin hatte sein Sohn Manuel zusammen mit seinem besten Freund, Beat S., eine längere Reise unternommen. Es sollte seine letzte sein.

Am 14. Dezember 2013 wurde das Leben des jungen Mannes aus Eschenbach ausgelöscht. Sinnlos. Brutal. Unfassbar. Der 28-jährige Manuel P. war unterwegs von seinem Wohnort Eschenbach in Richtung Wagen. Um 10.39 Uhr wurde sein Wagen in einer Kurve beim Rüeggeschlee frontal von einem anderen Auto erfasst.

Die Unfallverursacherin, Susanne R., auch sie aus Eschenbach, war am Steuer eingenickt und auf die Gegenfahrbahn geraten. Sekundenschlaf. Sie war übermüdet und hatte – am Tag nach einer Weihnachtsfeier – einen Alkoholwert von über 0,7 Promille im Blut.

Dieser kurze Augenblick, in dem Susanne R. einnickte, veränderte das Leben von Manuels Angehörigen und Freunden auf einen Schlag. Ihr Alltag wurde gelöscht. Innert Sekunden.

<strong>Während die Schlagzeilen</strong> vom Unfall bald von neuen verdrängt werden, ist für Manuels Angehörige der Trauerprozess knapp ein Jahr nach dem tragischen Unfall noch nicht abgeschlossen. Das wird er nie sein. Bestenfalls erreichen Betroffene einen neuen Umgang mit dem Verlust, dem Schmerz, der Trauer (siehe auch Interview auf Seite 38).

Die Rettungsleute am Unfallort kämpften um Manuels Leben, bis der Rega-Helikopter eintraf. Manuel wurde ins Kantonsspital St. Gallen geflogen. Wenige Stunden später, um 20.39 Uhr, erlag er dort seinen schweren Verletzungen. «Als einer der Ärzte zu uns in den Warteraum kam und sagte, Manuel werde nun vom Operationssaal auf die Intensivstation verlegt, da wusste ich: Es ist vorbei.» Und dann sagt Manuels Vater etwas Verstörendes: «Und ich war froh.»

Sein Sohn sei derart schwer verletzt gewesen, dass sein Leben nie mehr geworden wäre, wie er es sich gewünscht hatte. Und Wünsche und Ziele hatte Manuel noch viele. Nach der Zweitausbildung zum Lokführer hatte er sich vorgenommen, Pilot zu werden. Renato P. ist überzeugt: «Er hätte das geschafft.» Manuel, so sagt sein Vater, war sehr direkt, kommunikativ und «fadegrad ehrlich» gewesen.

<strong>Vater Renato sitzt</strong> am Esstisch in der Wohnung in Eschenbach, die ihm gehört. Er wohnt jedoch schon länger nicht mehr dort. Sein verstorbener Sohn sowie seine Tochter Anina lebten darin in einer Wohngemeinschaft.

Anina wohnt immer noch dort – obschon sie vom Unfalltod ihres Bruders komplett aus der Bahn geworfen wurde. Sie zog sich zurück, musste in psychiatrische Behandlung. «Sie verdunkelte ihr Zimmer, wollte nur noch schlafen», erzählt Renato P.

Sechs Monate, nachdem ihr Bruder gestorben war, verlor sie ihren Job. Der Vater sagt: «Die Art und Weise, wie ihr damaliger Arbeitgeber mit meiner Tochter umging, ist völlig unverständlich.» Nach Ablauf des gesetzlichen Kündigungsschutzes wurde sie entlassen. «Entweder waren die einfach völlig stillos oder überfordert. Oder beides.»

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