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Das Kapitel Irak ist eine Zäsur für die USA

Als die Amerikaner 1975 aus Saigon flohen, hat sich ein Bild tief ins Gedächtnis eingegraben. Das Bild des Helikopters, der auf dem Dach der US-Botschaft landet, um die Letzten zu evakuieren.

Südostschweiz
19.12.11 - 01:00 Uhr

Von Frank Herrmann

Ein einziges Motiv, das alles symbolisierte: das heillose Chaos, die demütigende Niederlage, das ganze Dilemma eines sinnlosen Krieges, der die Vereinigten Staaten vom Olymp scheinbarer Allmacht ins Tal akuter Selbstzweifel stürzte. Aus dem Irak des Dezembers 2011 wird es solche Bilder nicht geben. So gesehen, ist Irak nicht Vietnam.

Die Amerikaner bleiben mit Tausenden Diplomaten in Bagdad, in der grössten Botschaft, die sie jemals bauen liessen. Nach Südostasien hatten sie eine Armee von Wehrpflichtigen entsandt, im Zweistromland marschierte eine Berufsarmee ein. Auch das macht einen Unterschied. In den klassischen Vorortvierteln der weissen Mittelklasse war von dem fernen Krieg nie wirklich etwas zu spüren, und wenn, dann allenfalls in den Fernsehnachrichten. Und doch, das Kapitel Irak war eine Zäsur. Es hat Amerika gründlicher verändert, als es auf den ersten Blick scheint. Da ist der Mann im Weissen Haus. Barack Obama wäre kaum Präsident geworden, hätte er sich nicht als früher Gegner eines Feldzugs profilieren können, der nach dem ersten Jubel über die fallende Statue Saddam Husseins schnell unpopulär wurde. Die Hybris, mit der Bush, Cheney und Rumsfeld die militärischen Muskeln spielen liessen, ist spürbarer weltpolitischer Zurückhaltung gewichen.

Und die Bilder, die bleiben? Vielleicht ist es der Kapuzenmann aus Abu Ghraib, Elektrodrähte an den Fingerkuppen. Vielleicht Bushs vorschnell entrolltes Spruchband mit der Aufschrift «Mission Accomplished», das Symbol einer grandiosen Fehlkalkulation. Oder vielleicht doch die stolzen Iraker mit den tintengeschwärzten Daumen, die nach der Tyrannei Saddam Husseins erstmals ein freies Parlament wählen konnten. Ginge es nach Joe Sixpack, dem viel zitierten Normalverbraucher, dann würde er all diese Bilder am liebsten verdrängen. Das Kapitel Irak, Amerika möchte es schnellstmöglich vergessen.

zentralredaktion@suedostschweiz.ch

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