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«Chemiewaffen sicherstellen wäre ein gewaltiges Abenteuer»

Der Toxikologe Ralf Trapp warnt vor hastigen Annahmen über den Einsatz chemischer Waffen in Syrien. Eine westliche Intervention vor diesem Hintergrund könnte laut Trapp dramatische Folgen haben.

Südostschweiz
27.04.13 - 02:00 Uhr

Mit Ralf Trapp* sprach Michael Wrase

Herr Trapp, der US-Geheimdeinst hat «mit unterschiedlichen Graden an Sicherheit» festgestellt, dass der Nervenkampfstoff Sarin «in kleinem Massstab» in Syrien eingesetzt wurde. Erhärten sich damit Berichte, nach denen Diktator Baschar el Assad die «rote Linie» von US-Präsident Barack Obama überschritten hat?

Ralf Trapp: Die bislang publizierten Informationen machen eine abschliessende Einschätzung sehr schwer. Es liegen einige Fotografien und Videofilme vor, welche als Indizien für einen Sarin-Einsatz gelten. Als abschliessende Beweise reichen sie aber nicht aus. Chemische Waffen werden in der Regel massiv eingesetzt. Ihr Einsatz lässt sich nicht verbergen. Eigentlich sollte dann ausreichendes Beweismaterial vorliegen.

Macht ein Kampf mit chemischen Waffen in einer Stadt wie Aleppo, wo Sarin vor knapp zwei Wochen angeblich eingesetzt wurde, militärisch überhaupt Sinn?

Nein, überhaupt nicht. Sarin ist auf einer grossen Fläche eingesetzt höchst effektiv, das heisst, es würde sehr viele Menschen töten. Wenn dies der Einsatzzweck gewesen wäre, hätte man dies auch erreicht. Sarin vergiftet die Luft. Die Gaswolke würde sich sofort nach dem Einsatz weiterbewegen und viele Menschen tödlich vergiften. Hinweise darauf gibt es meines Wissens aber nicht.

«Andere Stoffe wirken ähnlich»

Gemäss einem Bericht der «New York Times» wurden mindestens zwei Menschen beim Einsatz von Sarin in Aleppo getötet. Daraus liesse sich doch schliessen, dass das Assad-Regime Sarin zunächst nur begrenzt einsetzen wollte, um westliche Reaktionen abzuwarten?

Ich halte das wie gesagt für eher unwahrscheinlich. Vielleicht sollte man Psychologen befragen. Aber ihre Frage geht wohl eher in den Bereich der politischen Spekulationen. Aber ich bin Chemiker, kein Politiker.

Die Opfer hatten laut syrischen Ärzten weissen Schaum vor dem Mund verengte Pupillen. Überlebende klagten über Atemnot und Herzrasen. Treffen diese Symptome ausschliesslich auf Sarin zu?

Nein. Es gibt auch andere Stoffe, die ähnlich wirken.

Man müsste also eine umfangreiche Untersuchung vor Ort durchführen?

Richtig. Man müsste eine Reihe von Beweismaterialien zusammenbringen und diese dann im Kontext bewerten. Zudem bräuchte man Umweltproben und Blutproben von Getöteten als auch von Überlebenden. Wenn das alles zusammenpasst, liegt ein starkes Beweispaket vor. Das Problem bei den Proben ist aber, dass man hundertprozentig sicher sein muss, dass sie auch authentisch sind und nicht verändert worden sind.

Wie gefährlich ist es für eine westliche Interventionsarmee, die sehr umfangreichen Chemiewaffenlager des Assad-Regimes in Syrien sicherzustellen? Ist das überhaupt möglich?

Es wäre ein gewaltiges militärisches Abenteuer. Die Lager sind ja in Händen der syrischen Armee. Nach einer Intervention befände man sich mit Syrien in einem Krieg, der die Verwendung dieser Kampfstoffe durch das Assad-Regime provozieren könnte.

Obwohl Sie Chemiker sind, möchte ich zum Schluss noch auf die politischen Dimensionen des möglichen Einsatzes von Sarin in Syrien eingehen …

(unterbricht) Nur so viel: Da es in diesem Konflikt viele verschiedene Interessen gibt, ist es sehr wahrscheinlich, dass aufgrund politischer Ziele Halbwahrheiten verbreitet werden. Und das so lange, bis ein abschliessendes Untersuchungsergebnis vorliegt.

Ralf Trapp ist Toxikologe, Berater und Mitarbeiter der UNO sowie der Organisation zum Verbot von chemischen Waffen in Den Haag.

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