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Blühende Schneewittchen statt fallende Schneeflocken

Der Advent steht kurz bevor, aber draussen siehts aus, als sei Frühlingsbeginn. Gärtner und Förster erklären, was das für Folgen hat für Fauna und Flora.

Südostschweiz
27.11.14 - 01:00 Uhr

Von Anja Ruoss und Anina Schlumpf

Die Weihnachtsdekoration leuchtet bereits in den Strassen. Doch statt Weihnachtsstimmung kommen fast Frühlingsgefühle auf. Dieses Jahr scheint der Winter auch mitten im November noch weit entfernt.

Vor dem Haus von Gärtner Stefan Rüegg steht ein «Schneewittchen» in voller Blüte. «Eigentlich ist es eine Sommerpflanze, die den Oktober normalerweise nicht überlebt», sagt Rüegg.

Die Temperaturen übertrafen in den letzten Wochen im Linthgebiet sogar die 20-Grad-Marke. Klimaexperten sprechen vom wärmsten November seit 135 Jahren, also seit Beginn der Aufzeichnungen.

Den Wetterexperten zufolge betrug die Temperatur im November etwa sieben bis acht Grad zu viel. Und bereits die Monate zuvor verzeichnete man Rekordwerte. Diese sind auf den Südwestföhn der letzten Wochen zurückzuführen.

Zeitliche Verlagerungen der Durchschnittswerte kamen bereits öfters vor. Diese seien an sich noch nichts Spektakuläres, erklärt Walter Berger, Wetterleser der «Südostschweiz».

Afrikas Wärme beeinflusst Natur

«Das wirklich Erstaunliche aber war der aussergewöhnlich starke Südwestföhn», sagt Berger. «Der Föhn hat beeindruckende Distanzen vom Mittelmeer her über die Alpen hinweg bis zu uns ins Tal zurückgelegt und uns somit Afrikas Wärme mitgebracht.»

Doch das bedeute nicht zwingend, dass in den kommenden Wochen überhaupt kein Schnee falle. «Sobald der Föhn erst einmal nachlässt, darf jederzeit mit Schnee gerechnet werden», so Bergers Prognose. Und die Chancen hierfür stünden gar nicht so schlecht. Der Wetterleser kündigt per Ende Woche bereits einen Temperatursturz und Schneefall bis in die Niederungen an.

Obwohl das warme Wetter für die Menschen sehr angenehm ist, hat dies negative Folgen für die Natur. «Besonders beim Rotwild ist zu erkennen, dass die Tiere noch nicht im Wintereinstand sind», erklärt Kantonsoberförster August Ammann.

Die Hirsche seien immer noch in den höher gelegenen Waldgebieten unterwegs. Normalerweise würden sie sich um diese Zeit schon im Tal aufhalten. «Dadurch können sie in gewissen Gebieten nicht gejagt werden», sagt Ammann. Mehr Angst bereiten dem Oberförster jedoch die Auswirkungen des Wetters auf die Laubbäume. «Das Laub fällt in diesem Jahr sehr spät», sagt Ammann. «Falls nun plötzlich Schnee fallen sollte, könnten die Äste die Last nicht mehr tragen und würden brechen.»

Warmer Winter gut fürs Geschäft

Revierförster Albert Bianchi sieht noch ein weiteres Problem, falls die Temperaturen nicht bald sinken. «Wenn es so warm bleibt, beginnen die Bäume wieder zu saften», erklärt er. «Ein plötzlicher Kälteeinbruch könnte zu Frostschäden führen.»

Dass die Temperaturen überdurchschnittlich hoch sind, sieht Albert Bianchi auch im eigenen Garten. «Wir haben eine Palme, die momentan gerade eine Knospe trägt», sagt er. Normal sei dies im November nicht.

Für das Unternehmen von Gärtner Stefan Rüegg aus Uznach hat der frühlingshafte Winteranfang einen positiven Effekt. Sein Geschäft beliefert Kunden länger als üblich mit Pflanzen und steigert dadurch seinen Umsatz.

«Die Gärtnerei verrichtet Arbeiten, die normalerweise im November nicht mehr anfallen», weiss Rüegg, «zum Beispiel legen wir noch Rollrasen und führen Bepflanzungen durch. Normalerweise wäre das zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr möglich wegen des Bodenfrosts.»

Doch die Natur leide auch unter Erholungsmangel, wenn der Winter ausfalle. «Tiefe Temperaturen und der Schnee haben reinigende Wirkung auf die Natur. Darum haben wir nach harten Wintermonaten mit weniger Schädlingen zu kämpfen.» Würde der Winter ganz ausfallen, hätte das möglicherweise weitreichende gravierende Konsequenzen für den Kreislauf der Natur.

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