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Autor Lenz in der Kritik für 40 Jahre altes Buch

Siegfried Lenz’ Roman «Deutschstunde» gehört zu den wichtigsten Werken der deutschen Nachkriegsliteratur. Jetzt ist eine Debatte um das 1968 erschienene Buch entbrannt.

Südostschweiz
02.05.14 - 02:00 Uhr

Siegfried Lenz’ Roman «Deutschstunde» gehört zu den wichtigsten Werken der deutschen Nachkriegsliteratur. Jetzt ist eine Debatte um das 1968 erschienene Buch entbrannt.

LIteratur Angesichts der ambivalenten Rolle von Emil Nolde in der Nazi-Zeit ist Siegfried Lenz’ Jahrhundertroman «Deutschstunde» in die Kritik geraten. Nolde hatte dem heute 88-jährigen Autor als Vorbild für die integre Hauptfigur seines Romans gedient – obwohl er in Wahrheit ein glühender Verehrer Hitlers war. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (FAZ) warf Lenz deshalb kürzlich vor, Noldes Biografie «schöngeschrieben» zu haben. Die Berliner Literaturwissenschaftlerin Jutta Müller-Tamm hält die Kritik für bedenkenswert. «Wenn sich das so verdichtet und das Werk eindeutig daraus schöpft, dass die Leser Nolde hinter der Figur erkennen, dann handelt es sich tatsächlich um einen tendenziösen Umgang mit historischen Zusammenhängen», sagte die Professorin der Freien Universität Berlin in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.

Noldes rechte Gesinnung

Auslöser der Diskussion ist die derzeit laufende Nolde-Ausstellung im Frankfurter Städel-Museum. Im Katalog zu der Schau sind zahlreiche Dokumente versammelt, die Noldes (1867–956) rechte Gesinnung belegen. Zwar galt er bei den Nationalsozialisten als «entarteter Künstler» und hatte Berufsverbot. Dennoch nannte er Hitler «gross und edel», sich selbst einen Vorkämpfer «gegen die alljüdische Bevormundung». In der «Deutschstunde» komme das Wort Jude dagegen nicht ein einziges Mal vor, die Hauptfigur des Malers Max Ludwig Nansen (nach Noldes Geburtsnamen Hansen) sei ein lauterer Charakter mit unbeugsamem Mut vor den Mächtigen, kritisierte FAZ-Autor Jochen Hieber. Mehr als vierzig Jahre nach seinem Erscheinen habe der Roman damit einen Gutteil seiner Glaubwürdigkeit verloren, Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der «Deutschstunde» müssten umgeschrieben werden.

Die «Süddeutsche Zeitung» reagierte spöttisch. «Natürlich ist Lenz’ Max Ludwig Nansen keinem anderen als Emil Nolde nachgebildet, und natürlich ist Lenz dem Bild erlegen, das Nolde nach 1945 von sich als dem grossen verfemten Künstler gepinselt hat», schrieb Willi Winkler. «Doch sollte der Literaturwissenschaftler Hieber schon mal vom Unterschied zwischen einer realen und einer fiktiven Figur gehört haben.» nada weigelt

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