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Auswahl und Entscheidung

Zum Communiqué der Churer Bistumsleitung «Tiefere Ursachen der Kirchenaustritte» im BT vom 22. Juni.

Südostschweiz
25.06.12 - 02:00 Uhr

Was mit Umfragen und Statistiken nicht zu erfassen ist, das ist die innere Emigration vieler Gläubiger aus der Katholischen Kirche. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil versuchen gewisse Instanzen den Geist ebendieses Konzils auszulöschen. Dies ungeachtet der auf dringend notwendige Reformen gerichteten Anstrengungen vonseiten vieler Kirchenmitglieder. Obwohl man wissen müsste, dass nicht der Buchstabe, sondern der Geist es ist, der lebendig macht, schlägt man sich gegenseitig Zitate aus Konzilstexten um die Ohren.

Unsere Bistumsleitung strebt an, dass die Einzelnen sich mit der Lehre der Römisch-katholischen Kirche identifizieren. Doch nicht jede Identifikation reicht in die gleiche Tiefe; es ist ein Unterschied, ob jemand sich mit der Botschaft Jesu identifiziert oder mit der real existierenden Kirche. Eine Totalidentifikation mit Letzterer ist eine theologische Unmöglichkeit. Darum gilt es, gegenüber der kirchlichen Lehre eine Auswahl zu treffen, bei welcher ein sorgfältig geformtes Gewissen gefordert ist.

«Jeder Austritt aus einer Kirchgemeinde oder Landeskirche schmerzt, weil damit oft eine Distanzierung von der eigentlichen Kirche verbunden ist.» So liest man im erwähnten Communiqué. Wo aber die von der Kirchenleitung erhobene Doktrin als unglaubwürdig empfunden wird, da bleibt nach allem vergeblichen Bemühen um dringend notwendige Lösungen zu anstehenden Fragen nur noch die Distanzierung.

Die Bistumsleitung macht es sich deshalb zu einfach, wenn sie Volkskirche und Entscheidungschristentum gegeneinander ausspielt. Für mündige Christen kann es sich bei der Identifikation mit der Kirche niemals um mehr handeln als um eine Teilidentifikation. Dahingehend lässt sich jedenfalls das Bibelwort verstehen: «Alles, was sie euch lehren, das tut und daran haltet euch. Aber haltet euch nicht an das, was sie tun, wenn ihre Worte nicht mit ihren Taten übereinstimmen.» (Mt 23,3) Für welche Glaubensinhalte die Menschen auch immer sich entscheiden, eine Kirche, in der die Entschiedenen sich über die Kritischen oder Distanzierten erheben, ist nicht mehr katholisch zu nennen. Georges Kenel, Chur

Wie viel soll ein Churer Stadtrat verdienen? Zur Lohndebatte äussert sich Kandidat Beat Nay im «Bündner Tagblatt» vom 22. Juni, dass seines Erachtens 215 000 Franken pro Jahr «zur Deckung anständiger Lebensumstände» genug seien. «Wenn das Einkommen nach Sicherung der familiären Grundbedürfnisse noch für einen schönen Urlaub oder für kleine Freuden im Alltag reicht, ist dies schön, aber nicht selbstverständlich.»

Was für die einen beinahe zynisch klingt, lässt bei andern fast etwas Mitleid aufkommen – ist doch die Lohnfrage immer auch eine Ansichtssache: Schielt man nach oben in den Olymp der Spitzenverdiener, wo Masslosigkeit und Selbstbedienung herrschen, scheint so ein Stadtratslohn beinahe eine bescheidene Entschädigung für geleistete Dienste zu sein. Lässt man den Blick aber nach unten wandern, sieht die Sache anders aus: Was muss wohl ein Familienvater, der nicht viel mehr als einen Drittel des besagten Einkommens nach Hause bringt, von seinen Lebensumständen halten? Sind diese «unanständig»? Andreas Kessler, Igis

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