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Ärzte wollen mehr Erholung

Spitäler Assistenz- und Oberärzte an den Spitälern fühlen sich überlastet. Das könne auch für Patienten ?gefährlich werden. Stimmt nicht, sagt der Spitalverband.

Südostschweiz
15.04.14 - 02:00 Uhr

Harry Ziegler

harry.ziegler@luzernerzeitung.ch

Die meisten Assistenz- und Oberärzte in der Schweiz sind überarbeitet. Das zeigt eine Umfrage des Umfrageinstituts Demoscope. Die Umfrage wurde vom Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärzte (VSAO) in Auftrag gegeben. «Die Resultate sind ernüchternd», sagte Nico van der Heiden, Sprecher des Verbands, gestern in Bern.

«Bei knapp 70 Prozent der Assistenz- und Oberärzte in der Schweiz wird das Arbeitsgesetz nicht eingehalten», so van der Heide. Was ihn speziell ernüchtere, sei der Fakt, dass das Arbeitsgesetz zwar für die von ihm vertretene Ärztegruppe gelte, sich aber nach einer anfänglichen Anpassung der Arbeitszeiten auf im Schnitt etwas über 56 Stunden die Woche, seit 2006 nichts mehr verändert habe.

Heute arbeitet die Mehrheit der Assistenz- und Oberärzte mehr als die laut Gesetz erlaubten 50 Stunden in der Woche. Ein Viertel der Befragten gibt an, 60 und mehr Stunden die Woche zu arbeiten. Im Schnitt wird während 56,5 Stunden pro Woche gearbeitet. «Eindeutig zu viel», so van der Heiden. Eine Einschätzung, die der Assistenzarzt Miodrag Savic gestern an der Medienkonferenz teilte. «Die Überarbeitung der Assistenz- und Oberärzte ist ein flächendeckendes Problem», so der Arzt aus Basel.

Die Auswertung der Umfrageantworten zeigt, dass vor allem Assistenz- und Oberärzte der inneren Medizin sowie der Psychiatrie die Arbeitszeit gemäss Arbeitsgesetz am häufigsten überschreiten. Massive Überschreitungen seien in der Chirurgie zu verzeichnen. Privatspitäler schneiden generell besser ab als Uni-, Kantons- und vor allem Regionalspitäler.

«Gefährliche Situationen»

Die dauernde Überschreitung der im Arbeitsgesetz festgelegten Arbeitszeiten berge Gefahren. «Nicht nur für den Arzt, sondern vor allem für den Patienten», erklärte der Präsident der VSAO, der Arzt Daniel Schröpfer. Das lasse sich aus den Umfrageergebnissen herleiten. Danach hätten fast 40 Prozent der Befragten erlebt, dass eine gefährliche Situation am Patienten wegen der Übermüdung des Arztes entstanden sei. Von den insgesamt knapp 13?000 Mitgliedern des Verbands haben etwas mehr als 3200 an der Umfrage teilgenommen. Befragt wurden Ärzte aus der ganzen Schweiz.

Auch aus der Zentralschweiz wurden Antworten eingereicht. Aus dem Kanton Luzern haben 142 Assistenz- oder Oberärzte an der Umfrage teilgenommen, aus dem Kanton Schwyz 20. Aus den Kantonen Nid- und Obwalden sowie Uri gingen 10 (Nidwalden) respektive 8 (Obwalden) und 4 (Uri) Antworten ein. Im Kanton Zug beantworteten 24 Ärzte die Umfrage. Ein Vergleich unter den Zentralschweizer Kantonen ist wegen der vergleichsweise geringen Zahlen aber nicht möglich.

48 Stunden in Luzern

Das Luzerner Kantonsspital arbeitet allerdings daran, die Arbeitszeiten den eigenen Reglementen und auch dem Arbeitsgesetz anzugleichen. «Für Assistenzärzte und Oberärzte richten sich die durchschnittlichen Arbeitszeiten nach dem Personalreglement des Luzerner Kantonsspitals (LUKS) sowie nach dem Arbeitsgesetz. Das Personalreglement sieht für Assistenzärztinnen und -ärzte eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von in der Regel 48 Stunden und für Oberärzte eine allgemeine wöchentliche Arbeitszeit von 50 Stunden vor. Im Rahmen der Jahresarbeitszeit kann es in begründeten oder nicht planbaren Ausnahmesituationen wie beispielsweise bei unerwartet hohem Patientenanfall bei einer Viruserkrankung zu einer hohen Arbeitsbelastung kommen», schreibt die LUKS-Medienstelle auf Anfrage.

«Unter Einbezug der Personalorganisationen unter anderem des Verbandes Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen VSAO» sei das LUKS derzeit daran, «Massnahmen zur vollständigen Umsetzung des Arbeitsgesetzes zu erarbeiten», heisst es weiter.

Über 4000 Stellen geschaffen

«Von einer Gefährdung der Sicherheit der Patientinnen und Patienten kann keine Rede sein», konterte der Schweizer Spitalverband H+ gestern umgehend die Kritik der Ärzte. Im Gegenteil: Seit im Jahr 2005 die Assistenz- und Oberärzte dem Arbeitsgesetz unterstellt worden sind, seien über 4000 neue Arztstellen geschaffen worden. Davon seien etwas über 2800 auf Assistenzärzte entfallen. «Das entspricht einer Zunahme der Stellen bei den Assistenzärztinnen und -ärzten um 60 Prozent in diesem Zeitraum. Die Arbeitsbedingungen haben sich damit für die Ärztinnen und Ärzte stark verbessert.» Die Umfrage des VSAO stellt fest, dass die Überbelastung der Ärzte ein Hauptgrund sei, dass die teuer ausgebildeten Spezialisten öfter den Beruf aufgeben.

Ärzte für 42-Stunden-Woche

Dass sich auch bei den Ärzten ein Generationenwechsel vollziehe, zeige sich darin, dass sich mehr als die Hälfte der befragten Ärzte eine 42-Stunden-Woche und Teilzeitarbeit wünschen, führte VSAO-Sprecher Nico van der Heide gestern vor den Medien aus. Der Wunsch der Ärzte sei aber auch aus Sicht des sich vollziehenden gesellschaftlichen Wandels verständlich.

Mehr Ärzte brauche es bei einer Anpassung der Arbeitszeiten ans Arbeitsgesetz nicht überall. In den meisten Fällen genüge es, die Ärzte von administrativen Aufgaben zu entlasten. «Die Ärzte können dann viel effektiver am Patienten eingesetzt werden», erklärte VSAO-Präsident Daniel Schröpfer.

Natürlich müsse die Einhaltung der Arbeitszeiten der Assistenz- und Oberärzte kontrolliert werden. Vorbildlich würden solche Kontrollen in den Kantonen Waadt und Bern umgesetzt. In den anderen Kantonen wird laut Verband eher zu wenig kontrolliert.

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