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20 Jahre Gefängnis? Schmidheiny kontert

Im Turiner Asbestprozess fordert die Staatsanwaltschaft für den früheren Eternit-Eigentümer Stephan Schmidheiny eine Zuchthausstrafe von 20 Jahren. Ihm wird vorsätzliche Tötung vorgeworfen. Schmidheinys Anwalt wehrt sich.

Südostschweiz
06.07.11 - 02:00 Uhr

Von Dominik Straub

Turin. – «In all diesen Jahren habe ich nie eine schlimmere Tragödie gesehen als diese», betonte der Turiner Staatsanwalt Raffaele Guariniello Anfang Woche in seinem Plädoyer im Justizpalast von Turin. Tausende Arbeiter und Bürger hätten schon einen qualvollen Krebstod erlitten, und auch in Zukunft würden noch unzählige Menschen sterben. Diese Tragödie habe sich «unter einer einzigen Regie abgespielt», ohne dass sich zuvor ein Gericht gefunden hätte, das die Verantwortlichen zur Rechenschaft zog: den 63-jährigen Schweizer Unternehmer und Milliardär Stephan Schmidheiny und den 89-jährigen belgischen Baron Jean-Louis De Cartier De Marchienne, die ehemaligen Besitzer der Eternit Italia.

Um das tödliche Risiko gewusst

Konkret wirft Guariniello Schmidheiny und De Cartier vor, für den Tod von 2056 Menschen und für die Erkrankung von 833 Menschen verantwortlich zu sein. Und sie sollen vorsätzlich, nicht fahrlässig gehandelt haben: Sie hätten nicht einfach ein hypothetisches Risiko in Kauf genommen, sondern seit den Sechzigerjahren um das tödliche Risiko der Asbestverarbeitung gewusst und es den Arbeitern bewusst verschwiegen, um weiter Profite machen zu können.

Im Verfahren geht es um Arbeiter, die zwischen 1973 und 1986 in den italienischen Eternit-Werken Casale Monferrato, Cavagnolo, Ruviera und Bagnoli beschäftigt gewesen und erkrankt waren. In dieser Zeit gehörten die vier Fabriken Schmidheiny; an jener von Casale Monferrato war auch die Familie De Cartier beteiligt. Die Industriellenfamilie Schmidheiny hatte ab den Fünfzigerjahren an den italienischen Eternit-Fabriken zunächst Minderheitsbeteiligungen übernommen. In den Achtzigerjahren übernahm die Schweizerische Eternit-Gesellschaft von Stephan Schmidheiny dann schrittweise die Mehrheit von Eternit Italia, die Ende der Achtzigerjahre in Konkurs ging.

«Völlig unverständlich»

Schmidheinys Anwalt Astolfo di Amato bezeichnete die von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafe von 20 Jahren gegenüber der «Südostschweiz» als «völlig unverständlich». Sein Mandant werde pauschal für alle Opfer der 80-jährigen Geschichte der Eternit Italia verantwortlich gemacht, obwohl er persönlich in Italien nie irgendeine operative Funktion innegehabt habe, nie im Verwaltungsrat der Eternit Italia sass und obwohl die Schweizer Eternit-Gruppe bloss von 1973 bis 1986 grösster Einzelaktionär der italienischen Eternit gewesen war. Während dieser kurzen Zeit hätten die Schweizer Eigentümer Millionen in die Arbeitsplatzsicherheit der italienischen Eternit-Werke investiert und damit in der Asbestindustrie «eine Vorreiterrolle» eingenommen.

Mit Guariniello haben es Schmidheiny und sein Anwalt Di Amato allerdings mit einem hartnäckigen Gegner zu tun, der in seiner Heimat wegen seiner unerschrockenen Anklagen gegen mächtige Unternehmen und Lobbys eine Art Heldenstatus geniesst.

Hohe Schadenersatzforderungen

Im Turiner Asbestprozess geht es aber nicht allein um Tötungsvorwürfe, sondern auch um astronomische Schadenersatzforderungen. In den kommenden Wochen werden die Vertreter von Hunderten von Privatklägern ihre Forderungen stellen. Guariniello, den die zivilrechtlichen Aspekte eigentlich wenig angehen, machte zu Beginn des Prozesses schon einmal seine Vorstellungen publik: Pro Asbestopfer erachtet der Turiner Staatsanwalt die Summe von einer Million Euro als angemessen. Es drohen demnach milliardenschwere Entschädigungen. Das Urteil im Strafprozess wird im Herbst erwartet.

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