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Über Glarus werden die Träume kleiner Jungen wahr

Der 21-jährige Philipp Stüssi aus Glarus hebt sich von vielen anderen Studenten ab. Zum einen, weil er sein Geld statt fürs Ausgehen lieber in sein Hobby steckt. Zum anderen, weil er im wahrsten Sinne des Wortes abheben kann.

Südostschweiz
23.07.14 - 18:59 Uhr

Von Antonella N. Nicolì

Glarus. – Philipp Stüssi ist im Lernstress. Er studiert in Bern im zweiten Semester Medizin und muss sich gerade auf seine Jahresprüfungen vorbereiten. Die ersten sonnigen Sommertage verbringt er deshalb meist in der Kanti Glarus, wo er vor zwei Jahren die Matura gemacht hat, und lernt mit Freunden.

Wenn er in den anatomischen Begriffen und chemischen Prozessen zu versinken droht, flüchtet sich der Student nicht etwa an den See oder in eine Bar, wie es andere an seiner Stelle vielleicht tun würden. Nein, Stüssis Auffassung von «abschalten» ist eine ganz andere. Ihn zieht es nach oben, hoch in die Lüfte – über die Wolken. Dort wo – wie Reinhard Mey schon vor 40 Jahren sang – alles, «was uns gross und wichtig erscheint» plötzlich nichtig und klein wird.

In 45 Minuten nach Locarno

Stüssi ist Privatpilot. Die Lizenz zur Motorfliegerei hat er seit letztem Herbst. Das Gefühl, das sein Hobby in ihm auslöst, könne er kaum beschreiben. «Man sieht die Welt aus einer anderen Perspektive, blickt auf andere Landschaften», sagt er.

Es sei kein Problem, innerhalb von 45 Minuten bis nach Locarno zu gelangen oder sich zu sagen «lass uns noch schnell diesen Berg anschauen». «Und dann», sagt er fast beiläufig, als würde es sowieso von ihm erwartet werden, «kommt natürlich noch das Gefühl von Freiheit hinzu.»

«Das musste ja kommen»

Heute ist Stüssi 21 Jahre alt und darf vom Flugplatz Mollis abheben, wann immer er Lust dazu hat und die Wetterverhältnisse stimmen. Als Kind war es sein Vater, der ihn zum Flughafen Kloten bringen musste, weil er dort die Flugzeuge anschauen wollte. Der Traum vom Fliegen packt ihn früh, und lässt ihn im Laufe der Jahre auch nicht wieder los. «Später bin ich mit Freunden aus der Primarschule regelmässig mit dem Velo zum Flugplatz Mollis gefahren», erzählt der junge Medizinstudent. «Dann schauten wir dort einfach eine Weile den vielen Flugzeugen zu.»

Zum ersten Mal in greifbare Nähe rückt Stüssis Traum plötzlich, als er schon ein Schüler der Kantonsschule Glarus ist. Dort hat er einen Klassenkameraden, der seine Begeisterung für die Fliegerei teilt. Besser noch: Der schon Nägel mit Köpfen macht. «Er erzählte mir, dass er in der Segelfluggruppe Mollis fliegen lernt», erinnert sich Stüssi, «und da wurde ich natürlich sofort hellhörig.» Die Entscheidung fällt schnell: Kaum ist Stüssi zuhause, fragt er auch schon seinen Vater. «Das musste ja irgendwann kommen», ist dessen pragmatische Antwort.

Mit 16 Jahren beginnt Stüssi – gemeinsam mit seinem Klassenkameraden – die Ausbildung in der Segelfluggruppe. Theorie und Praxis werden gleichzeitig vermittelt und so vergeht nicht viel Zeit, ehe Stüssi mit seinem Fluglehrer abhebt. An den ersten Flug erinnert er sich noch ganz genau. «Es war im September 2009, ein sogenannter Akrobatik-Flug. Ich durfte den Steuerknüppel selbst in die Hand nehmen und habe den Flug richtig mitgefühlt.» Auch diesmal fehlen ihm die Worte der Beschreibung. «Es war einfach geil», sagt Stüssi dann lachend.

Noch eine weitere Prüfung

Etwa zwei Jahre dauerte seine Ausbildung. «Es dauerte etwas länger als sonst, weil wir nur am Wochenende und bei gutem Wetter fliegen konnten», erklärt der Student aus Glarus. Den Rest der Zeit musste die Theorie gebüffelt werden: Von Luftrecht, über Meteorologie bis hin zum Aufbau eines Flugzeuges.

Aber kaum hat er den Abschluss in der Tasche, beginnt Stüssi auch schon mit einer neuen Ausbildung: Die zur Motorfliegerei. Und zwar im sechsten Jahr der Kantonsschule, wo viele Schüler schon mit den Maturaprüfungen zu kämpfen haben. Dass auch diese Ausbildung zwei Jahre dauert, liegt allein daran, dass Stüssi nach der Matura ein Jahr ins Militär geht.

Fliegen statt in den Ausgang

Doch genau aus diesem Jahr im Dienste der Schweizer Armee finanziert Stüssi grösstenteils sein Hobby. Jede Minute, die er in der Luft verbringt, kostet ihn Geld. Weil er darauf bedacht ist, regelmässig zu fliegen, muss Stüssi auch Opfer bringen. «Ich vermeide, mein Geld im Ausgang zu vertrinken», sagt er. «Das lässt sich am ehesten sparen.» Obwohl die Fliegerei sehr teuer sei, habe er noch keine Minute in der Luft bereut.

Denn Stüssi hat ein festes Ziel vor Augen: Das Fliegen irgendwann zum Beruf zu machen. «Am liebsten würde ich noch die Ausbildung zum Helikopterpilot machen», sagt er. Dabei ist er an seinem Medizinstudium durchaus interessiert und sich auch bewusst, dass er eine begehrte Studienrichtung gewählt hat. Doch der Traum des kleinen Jungen von damals am Flughafen Kloten lässt ihn einfach nicht los. Und so sagt Stüssi: «Ich studiere so lange weiter, bis ich in der Berufsfliegerei Fuss fasse. Ich bleibe dran.»

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