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Schlepp-Pilot: «Himmelwärts gibt es für mich keine Hektik»

Landen und Starten ist sein Job. Leo Kühne aus Schwanden schleppt regelmässig Segelflieger von Mollis über die umliegenden Berge und geniesst dabei nach wie vor die einmalige Aussicht.

Südostschweiz
21.07.14 - 09:00 Uhr

Schwanden/Mollis. – Samstagmorgen, neun Uhr. Der Himmel über Mollis ist wolkenverhangen. Am Vortag fegte noch der Föhn durchs Tal, aber jetzt ist es windstill. Vier Männer und eine Frau stehen im Hangar der Segelfluggruppe bereit zum Briefing. Einer der Männer ist Leo Kühne, er schleppt die Segelflieger auf die richtige Höhe und an den richtigen Ort.

Das Team bespricht die Wetterlage und schaut sich die Karte mit dem Dabs, dem Daily Airspace Bulletin Switzerland, an. «Das Dabs hält jene Regionen fest, über die eine Flugeinschränkung verhängt wurde», erklärt Kühne. An diesem Wochenende ist auf der Karte ein Kreis über Davos eingezeichnet, wo das Eidgenössische Jodlerfest stattfindet. Wenn jeweils die Landsgemeinde stattfinde, dürfe Glarus nicht überflogen werden.

Zum Schluss jedes Briefings diskutiert die Gruppe nochmals eine sicherheitsrelevante Situation, danach gehts ans Bereitstellen der Segelflieger. Trotz nahendem Regen lassen sich die Piloten nicht zur Eile antreiben. «Bei uns gibt es keine Hektik», sagt Kühne. Er steigt in sein Flugzeug, die Robin, geht die Checkliste durch und rollt das Flugzeug auf die Piste, wo der Segelflieger mit seinem Team wartet. Das Schleppseil wird ausgerollt und am Segelflieger eingeklinkt. Daumen hoch und los gehts, ab über die Piste und hoch in die Luft.

Bis zu 30-mal rauf und runter Bis zu 30 Starts und Landungen absolviert Leo Kühne an einem guten Flugtag, wenn alles stimmt und viele Segelflugschüler auf dem Platz sind. An diesem Samstag sollten es nicht so viele werden, denn der Regen, der vorübergehend aufkommt, verhindert durchgehende Starts und Landungen.

Nach wie vor geniesst Leo Kühne jeden Flug, findet Zeit, sich die Berge anzuschauen und die Natur zu bewundern. Mit den vielen Starts und Landungen hat auch sein Körper eine Unmenge Höhenmeter zu bewältigen. «Kein Problem», sagt er. Als Sportlehrer ist er körperlich fit; zudem werden auch Schlepp-Piloten regelmässig fliegermedizinisch untersucht – bis zum 50. Altersjahr alle zwei Jahre. «Ich werde jährlich untersucht», verrät er lachend. 

Nun fliegt er, den Segelflieger mit Flugschüler und Fluglehrer im Schlepp den Wiggis entlang, steigt höher und dreht vor dem Glärnisch ab, damit sich der Segelflugpilot ungefähr über Netstal ausklinken kann. Bei diesem Flug sollen nur Figuren geflogen werden, die für die Prüfung erforderlich sind. Das Berufsziel wird zum Hobby Der Sportlehrer, der in seiner Freizeit oft und rasant zwischen Himmel und Erde pendelt, hat als 17-Jähriger zum ersten Mal allein ein Flugzeug gesteuert. Da er Militär- oder Linienpilot werden wollte, durchlief er die fliegerische Vorschulung. Gut erinnert er sich an seinen ersten Alleinflug in Altenrhein. «Das war zum Singen.» Mit einer Bravo sei er unterwegs gewesen und habe vor Freude ein Lied angestimmt. Viele Prüfungen und körperliche Tests bestand er, schaffte die Ausbildung aber nicht bis zum Ende. Das Privatpiloten-Brevet hat er aber in der Tasche. 

Nach dem Ausscheiden entscheidet er sich für den Beruf des Sportlehrers, behält seine Liebe zur Luft aber bei. Da er bereits damals im Glarnerland wohnt, beginnt er bei der Segelfluggruppe in Mollis mit der Schleppfliegerei. «So hab ich meine Leidenschaft zum Hobby gemacht.»

Zur fliegerischen Vorschulung gehört auch das Akrobatikbrevet. Das Gefühl, wie er damals mit der Bücker ausgefallene Figuren am Himmel flog, gefällt ihm heute noch. «Mit Ledermütze und Brille, den Wind im Gesicht – das ist fliegen pur», sagt Kühne und strahlt dabei.          Der Föhn ist ein Spielverderber Die Erfahrungen aus der Akrofliegerei kommen ihm auch beim Schlepp­fliegen zugute. Auch hier wird er regelmässig mit extremen Flugsituationen konfrontiert. So habe er beim Starten und im Steigflug eine sehr geringe Geschwindigkeit, die nahe beim Abkippen liege. Nach dem Ausklinken des Segelfliegers, beim anschliessenden Sinkflug, geht es dann rasant hinunter, wobei er den Flieger nahe an die Grenze der strukturellen Belastbarkeit steuert. «Auch die vielen engen Kurven, die ich beim Schleppen fliege, um den Segelflieger an die richtige Stelle zu bringen, sind nicht zu unterschätzen», erklärt er weiter.

Je nach Wetter- und Windverhältnissen sind die Flugziele unterschiedlich, liegen aber immer in der näheren Umgebung von Mollis. So fliegt Kühne auch den Gufel-, Brünneli- oder Mattstock an.

Bevor Leo Kühne jeweils von Schwanden nach Mollis auf den Flugplatz fährt, konsultiert er die Wetterdaten. Oft ist der Föhn im Glarnerland der Spielverderber, denn wenn er im Tal bereits kräftig weht, müssen die Segelflieger und damit auch der Schlepp-Pilot am Boden bleiben. «Solange er nicht stark ist oder drückt, können wir fliegen.» Aber das könne sich von einer Minute auf die andere plötzlich ändern. Die Sicherheit sei das oberste Gebot.

Segelflugzeug- und Schlepp-Pilot sind wie eine Zweierseilschaft: Sie sind voneinander abhängig. «Der Segelflieger kann mich zum Absturz bringen und umgekehrt», so Kühne. Während das kleinere Schleppflugzeug eine Selbstrettungsanlage hat, liegt die Rettung bei der Robin, die Kühne heute fliegt, allein in der Hand des Piloten.

Und so dreht er nun, losgelöst vom Segelflieger, in einer Schlaufe über den Flugplatz, sinkt schnell und landet kurze Zeit später in Mollis. Der ganze Flug hat gerade mal sieben Minuten gedauert.

Kühne parkiert das Flugzeug in der Wiese vor dem Hangar und ist bereit für den nächsten Start. Dieser lässt an diesem Tag aber auf sich warten, denn der Regen nimmt immer mehr zu, und «mit Wasser auf dem Segelflieger sind die Flugeigenschaften nicht mehr optimal», sagt Leo Kühne und blickt genüsslich in den Himmel, wo der Segelflugpilot seine letzten Runden dreht, bevor auch er wieder sicher landet. (so)

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