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Nino Niederreiter: «Jetzt will ich gegen Männer spielen»

Vor einem Jahr wurde Nino Niederreiter in der NHL von den New York Islanders gedraftet. «Schöne Erinnerungen» für den Churer Eishockey-Stürmer. Nächste Saison will sich der Ex-HCD-Junior nun aber in der besten Liga der Welt etablieren.

Südostschweiz
19.06.11 - 18:00 Uhr

Von Kristian Kapp

Eishockey. – Exakt ein Jahr ists nächsten Samstag her, dass Nino Niederreiter Schweizer Eishockeygeschichte schrieb. Der Churer Eishockeystürmer wurde beim NHL-Draft in Los Angeles von den New York Islanders als Nummer 5 gezogen. So gut war ein Schweizer in 48 Jahren Draft-Geschichte zuvor noch nie eingestuft worden. Und wer weiss, wäre Niederreiter bloss sieben Tage jünger, er hätte gar den ewigen Rekord aufstellen können. Dann nämlich wäre er erst dieses Jahr am Draft teilnahmeberechtigt gewesen. «Und 2011 wäre Nino als Nummer 1 gezogen worden», ist Garth Snow überzeugt. Der 42-jährige Amerikaner war bis 2006 Torhüter in der besten Eishockeyliga der Welt und wechselte nach seinem Rücktritt bei den Islanders in die Geschäftsstelle der New Yorker. Als General Manager war er Hauptverantwortlicher, dass sein Klub sich beim Draft 2010 für Niederreiter entschied. Darum ist seine Aussage sicher auch als Eigenwerbung zu sehen – und auch als Hinweis darauf, dass der Draft 2011 qualitativ eher schwächer eingestuft wird als jener vor einem Jahr. Andererseits zeigt er auch die grosse Wertschätzung, die der 18-jährige Churer in der Organisation der New York Islanders geniesst.

«Damals durfte ich, jetzt will ich»

Niederreiter geniesst eine Spezialbehandlung, die nicht jedem Junior in der Organisation entgegengebracht wird. «Und die ich extrem zu schätzen weiss», wie er selbst sagt. Der Churer verbrachte den Grossteil der vergangenen Saison bei den Portland Winterhawks in der Western Hockey League (WHL), einer der drei höchsten kanadischen Juniorenligen. Monatlich nahm ein Islanders-Angestellter der Abteilung für «Player Development» (Spielerentwicklung) die rund siebenstündige Flugreise von New York nach Portland auf sich, um nach dem jungen Bündner zu sehen und Ratschläge zu geben – die bis ins kleinste Detail gingen: «Ich erhielt zum Beispiel Tipps, wie ich mich in verschiedenen Bully-Situationen zu verhalten habe.»

Kontakt gabs auch mit der höchsten Stelle: «General Manager Snow erkundigte sich mehrmals telefonisch», erzählt Niederreiter. Was die Islanders nächste Saison mit ihm exakt vorhaben würden, sagten sie ihm aber nie. «Sie liessen mich bloss wissen, dass ihre Erwartungen hoch seien», sagt Niederreiter. Druck, der ihm nichts ausmacht. Schliesslich hat er selbst ebenfalls nur ein Ziel für die Anfang Oktober beginnende NHL-Saison 2011/12: «Ich will es diesmal schaffen und das ganze Jahr bei den Islanders bleiben.»

«Vor einem Jahr durfte ich es schaffen, jetzt will ich es schaffen», sagt Niederreiter. Letzte Saison konnte er die ersten neun Meisterschaftsspiele mit den Islanders bestreiten, danach schickten sie ihn nach Portland zurück. Dies war auch bedingt durch die komplexen Regeln der NHL. Spielt ein frisch gedrafteter Neuling in mehr als neun NHL-Partien, fängt sein Dreijahresvertrag automatisch zu laufen an. So aber ist Niederreiter weiterhin drei Jahre an die Islanders gebunden. Er dürfte altersbedingt sogar noch zwei weitere Jahre in die WHL zurückgeschickt werden. Doch das will er unbedingt vermeiden: «Ich spüre es: Um mich weiter verbessern zu können, muss ich ab jetzt gegen Männer spielen und nicht mehr gegen Junioren. Letzte Saison durfte ich neun Spiele lang träumen. Jetzt will ich es leben.»

In Portland sähe man den besten Torschützen der letzten beiden Jahre (94 Tore in 154 Spielen) natürlich gerne weiterhin im rot-weissen Winterhawks-Dress mit dem berühmten Indianer-Kopf auf der Brust. Aber auch Portlands General Manager und Trainer Mike Johnston ist klar, dass dies mehr Wunschtraum denn Realität ist. «Wir haben uns eigentlich voneinander verabschiedet, in Portland rechnen sie nicht mehr mit mir», sagt Niederreiter. Er hat die Winterhawks gebeten, ihm jenes Dress zu überlassen, das er im Schlussdrittel des letzten Saisonspiels trug – man wisse ja nie …

Powerskating als grosse Hilfe

Kaum hatte Niederreiter Mitte Mai die letze Saison mit Portland beendet, begann er mit der Arbeit im Hinblick auf sein grosses Ziel. Statt sofort in die Schweiz zurückzukehren, blieb er zwei weitere Wochen dort und absolvierte ein Powerskating-Trainingslager – auf eigene Initiative. «Ich hörte immer wieder ‘Beim Schlittschuhlaufen ist noch Potenzial.’ Darum setzte ich gleich dort an. Wenn ich eine halbe Sekunde in den Kurven herausholen kann, ist das schon viel.» Die Islanders nahmen dies erfreut zur Kenntnis. «Sie sehen, dass ich unbedingt besser werden will», sagt Niederreiter.

Die zehn Tage Spezialtraining fruchteten bereits, auch dank genauer Videoanalyse: «Wir fanden zum Beispiel heraus, dass ich beim Abstossen nicht den ganzen Fuss benutzte.» Weil jedes Detail zähle, wird Niederreiter im August noch einmal für 14 Tage Powerskating nach Portland reisen. Erst danach wird er weiterfliegen nach New York, wo das erste von zwei Vorbereitungscamps mit den Islanders auf dem Programm steht.

Als Niederreiter letzte Saison von den Islanders nach Portland zurückgeschickt worden war, wusste er, dass dies für seine Entwicklung wohl das Beste sein würde. Dennoch schielte er hin und wieder mit etwas Wehmut Richtung NHL. Zwar wurden von den 210 in «seinem» Draft gezogenen Spielern nur fünf weitere ebenfalls schon in der NHL eingesetzt, doch sowohl Taylor Hall, Tyler Seguin sowie die hinter Niederreiter gezogenen Jeff Skinner, Alexander Burmistrow und Cam Fowler durften allesamt bis Saisonende bei ihrem Profiklub bleiben.

Niederreiter möchte dies aber relativiert haben: «Ich bin einerseits von diesen sechs Spielern der Jüngste. Und ich habe mit Burmistrow gesprochen. Er hatte nicht immer eine einfache Zeit, wenn er oft nur in der vierten Linie eingesetzt wurde. Und selbst Seguin hatte es schwer, er war in Boston teilweise überzählig. Mir war es lieber, in Portland in jeder Partie viel zu spielen.» Nicht in diese Kategorie fiel Skinner. Der Kanadier schoss in seiner ersten NHL-Saison 31 Tore für die Carolina Hurricanes. Niederreiter: «Er hatte eine Supersaison, und ich gönne sie ihm. Aber seine Situation lässt sich nicht mit meiner vergleichen: Er durfte oft in der ersten Linie neben einem Top-Center wie Eric Staal stürmen.»

Ein gutes Bauchgefühl

Da es die NHL-Regeln verbieten, einen in die Juniorenliga delegierten Spieler in der selben Saison zurückzuholen, musste sich Niederreiter nach seiner Rückkehr in Portland auf kleinere Ziele fokussieren. «Ich fragte mich: ‘Was kann ich hier am besten noch lernen?’ Ich setzte mir das Ziel, mich vor allem im Leader­ship zu verbessern.» Dies sei ihm gelungen, ist er überzeugt. Und nicht nur das: «Ich bin läuferisch stärker und konditionell auf sehr gutem Niveau.»

All dies und der Wille, im Sommer härter denn je an sich zu arbeiten, machen Niederreiter zuversichtlich, dass er nächste Saison den Durchbruch bei den Islanders schaffen wird. Es wäre der Lohn für viele Entbehrungen: «Ich musste auf vieles verzichten.» In Portland sei der Ausgang am Abend nicht nur darum nicht dringelegen, weil in den USA das Mindestalter dafür 21 beträgt: «Es bleibt schlicht keine Zeit dafür. So findest du nicht viele Kollegen. Das Team ist wie deine Familie, mit der du die ganze Zeit verbringst.»

Sofern er es in New York packt, wird Niederreiters neues Zuhause auf Long Island sein. Ein Grund mehr, alles für den grossen Traum zu geben: «Long Island ist etwas vom Schönsten, das ich je gesehen habe.» Auch Niederreiter weiss um den schlechten Ruf des für NHL-Verhältnisse veralterten Nassau Veterans Memorial Coliseum, der Heimarena der Islanders. Doch er lässt diesen Einwand nicht gelten: «Die Gäste­teams sehen halt immer nur das Stadion und den Parkplatz und kriegen den Rest der Insel gar nicht mit.» Niederreiters Bauch sagt ihm, dass er bald auf Long Island wohnen wird. «Ich habe ein anderes Gefühl als vor einem Jahr. Ein besseres Gefühl.»

«Ein guter Anzug, das reichte»

Die National Hockey League ist nicht nur die beste Eishockeyliga der Welt, in der NHL gibts auch am meisten Geld zu verdienen. Gemäss dem aktuellen Regelwerk kann ein NHL-Spieler pro Saison maximal 11,88 Millionen US-Dollar verdienen. Dies ist viel, im Vergleich beispielsweise mit der MLB (Baseball) mit fast drei Mal höheren Spitzenlöhnen, aber immer noch «Peanuts» im nordamerikanischen Profisport.

So funktionierts in der NHL

Hoch gedraftete Rookies wie Nino Niederreiter unterschreiben automatisch hochdotierte Dreijahresverträge – im Falle des Churers mit 2,825 Millionen US-Dollar pro Saison. Heisst dies, dass «El Nino» im Jahr 1 nach dem Draft um diese Summe reicher wurde? Nein. Die Summe setzt sich wie folgt zusammen: 810 000 Salär, 90 000 Unterschriftenbonus sowie Prämien von maximal 1,925 Millionen – Prämien, von denen Niederreiter (noch) nichts sah. Ausbezahlt wurden ihm nur folgende Summen: Die 90 000 Unterschriftenbonus sowie mit rund weiteren 90 000 US-Dollars nur ein Neuntel des Grundlohns. Dies, weil das Salär im Verhältnis zur Anzahl Tage ausbezahlt wird, die der Spieler in der 82 Spiele umfassenden Qualifikation (186 Tage) effektiv im Team verbrachte: Niederreiter war nur 21 Tage (neun Spiele) ein Islander. Zieht man zudem in Betracht, dass die NHL-Spieler fast die Hälfte ihres Einkommens durch Steuerabgaben wieder «verlieren», hat Niederreiter also nicht 2,825 Millionen, sondern rund 110 000 US-Dollar verdient – knapp der Lohn eines NLA-Durchschnittsspielers.

Powerplate und Reisekosten

Was hat sich Niederreiter von seinem ersten Profilohn geleistet? «Ich habe der Familie ein spezielles ‘Powerplate’, ein Fitnessgerät geschenkt. Zudem habe ich die Kosten übernommen, wenn mich die Eltern in Nordamerika besuchten. Für mich habe ich einen guten Anzug gekauft. Das reichte, ich wollte nicht schon alles zum Fenster rauswerfen.»

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