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Nino Niederreiter: «Habe zu stark mein Spiel verlassen»

Der Churer Nino Niederreiter hat in seiner ersten «richtigen» NHL-Saison erfahren, wie steinig der Weg in der besten Liga der Welt ist. Er ist sich bewusst, dass noch harte Arbeit vor ihm liegt.

Südostschweiz
20.04.12 - 14:50 Uhr

Eishockey. – Die Bilanz ist für einen Goalgetter wie Nino Niederreiter ernüchternd: ein Tor und kein Assist in 55 Partien. Durchschnittlich stand der Churer während 10:06 Minuten auf dem Eis, so wenig wie kein anderer Spieler der Islanders, der regelmässig zum Einsatz kam. Dennoch verzeichnete er eine Plus-Minus-Bilanz von minus 29 – ligaweit war in dieser Statistik bloss Teamkollege Milan Jurcina (minus 34) schlechter. Werden also bloss die nackten Zahlen als Massstab genommen, fällt das Fazit kümmerlich aus.

Es wäre allerdings falsch, von einer missglückten Saison oder sogar von einem verlorenem Jahr zu sprechen. Es darf nicht vergessen werden, dass Niederreiter erst 19 Jahre alt ist und vor dieser Saison mit Ausnahme von drei Play-off-Partien mit dem HC Davos, neun NHL-Begegnungen mit den Islanders und sieben Länderspielen mit der A- Nationalmannschaft nur bei den Junioren spielte. «Es war definitiv ein Lehrjahr für mich», sagt der als Nummer 5 gedraftete Bündner. «Es ist die beste Liga der Welt, ich konnte es nicht anders erwarten. Alles war neu für mich. Es ist ein Traum für jeden Spieler, das erfahren und erleben zu dürfen.»

«Vielleicht übertrieb ich es»

Erschwerend kam hinzu, dass Niederreiter zweimal verletzt war. Ende September zog er sich in der zweitletzten Vorbereitungspartie eine Leistenverletzung zu, weshalb er erst Mitte November sein erstes Saisonspiel in der NHL bestritt. Und nachdem er Anfang Dezember in Chicago getroffen hatte, erlitt er am nächsten Tag bei seinem ersten Einsatz eine Hirnerschütterung, die ihn erneut zurückwarf. «Es ist viel in die Hosen gegangen», so Niederreiter. «Ich war zuvor noch nie verletzt gewesen. Ich habe immer wieder versucht, so schnell wie möglich aufs Eis zurückzukehren. Dadurch übertrieb ich es vielleicht ab und zu etwas.»

Ohnehin gehört die Geduld nicht zu seinen grössten Tugenden. In diesem Bereich müsse er immer wieder dazulernen. «Die letzten zwei, drei Jahre ist alles super gelaufen, ist alles immer bergauf gegangen. Da musste ich nie viel Geduld ins Spiel bringen. Dieses Jahr schon. Das Wichtigste war für mich jedoch, dass ich die ganze Saison oben bleibe. Das ist mir gelungen. Aber natürlich wollte ich mehr Tore schiessen. Es war schwierig, mental damit umzugehen.»

Ständige Angst vor Degradierung

Niederreiters Punkteflaute ist auch darauf zurückzuführen, dass Trainer Jack Capuano nicht richtig auf den Schweizer setzte und ihn vorwiegend in der vierten Linie spielen liess. Die Angst, zu den Junioren zurückgeschickt zu werden, war ein ständiger Begleiter von «El Niño», obwohl früh kommuniziert worden war, dass er die ganze Saison beim NHL-Team bleiben dürfe. «Worte sind schnell gesagt», sagt Niederreiter. «Das Hauptthema für mich war immer, dass ich wieder runtergeschickt werde, wenn ich nicht gut spiele. Das ist vielleicht der Grund, warum ich zu stark mein Spiel verlassen habe. Ich bin mehr aufs Eis gegangen, um keine Fehler zu machen und so einfach wie möglich zu spielen. Ich habe mich nicht gross getraut, Sachen zu machen. Normalerweise ziehe ich immer direkt aufs Tor.»

Die Unsicherheit verflog erst nach der Transfer-Deadline Ende Februar. Niedereiter: «Dann hatte ich für mich selber das Gefühl, dass es Zeit ist, etwas zu probieren. Es war eine riesige Erleichterung. Ich hätte allerdings nie von meinem Weg abgehen dürfen. Das ist aber einfacher gesagt als getan.» In der Tat war in den letzten Partien, in denen er in der dritten Linie spielte, ein Aufwärtstrend zu spüren. In der Nationalmannschaft erhält er nun weitere Gelegenheiten, seine unbestrittenen Skorerqualitäten zu zeigen.

Auf dem richtigen Weg

Am Mittwoch gegen Schweden blieb Niederreiter zwar ein Skorerpunkt verwehrt, mit seinen neuen Linienkollegen Michael Liniger und Roman Wick verstand er sich aber auf Anhieb. «Ich kann hier viel mehr probieren, nicht zuletzt durch die grösseren Eisfelder. Ich habe es genossen, wieder für die Schweiz zu spielen», kommentierte Niederreiter sein erstes Länderspiel seit der WM 2010. Auch Sean Simpson zeigte sich zufrieden: «Er braucht ein bisschen Zeit für die Umstellung. Aber ich bin sehr glücklich über seinen ersten Auftritt.»

Islanders-Captain Mark Streit sieht Niederreiter so oder so auf dem richtigen Weg. «Wenn einzelne Eishockey-Experten in der Schweiz das Gefühl haben, dass man mit 19 Jahren in die NHL kommen und gerade dominieren kann, dann sind diese falsch gestrickt. Ich denke, es war eine erfolgreiche Saison für ihn. Es gibt wenige, die den Schritt bereits in diesem Alter schaffen. Er konnte viel lernen, sich an das Leben in der NHL gewöhnen. Das wird ihm im Hinblick auf seine Zukunft sicherlich viel bringen. Ich habe zu ihm gesagt: «Es ist nicht wichtig, wo du mit 19 bist, es ist wichtig, wo du mit 23, 24 bist.» (si)

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