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«The games must go on!» – aber nicht in Graubünden

Sotschi Gigantismus vorzuwerfen, wie es im Vorfeld westliche Medien getan haben, ist scheinheilig. Vor allem, wenn gleichzeitig die Versuche, in Graubünden oder Bayern etwas kleinere Spiele zu organisieren, ebenso kritisiert werden. Der Bündner Bernard Maissen, Chefredaktor der Nachrichtenagentur sda, mit einer Analyse zu den Spielen in Sotschi.

Südostschweiz
21.02.14 - 18:00 Uhr

Allgemeines. – «The games must go on!» rief IOC-Präsident Avery Brundage am 6. September 1972 ins Münchner Olympiastadion. Am schwärzesten Tag der olympischen Bewegung der Neuzeit, als nach einer Geiselnahme elf Mitglieder der israelischen Delegation, fünf palästinensische Geiselnehmer und ein deutscher Polizist ums Leben kamen, sollten Politik und Gewalt das olympische Feuer nicht auslöschen können.

Seither hat Olympia Finanz- und Dopingskandale, Boykotte von Ost und West, stimmungslose und euphorisierende, staatlich verordnete und vollständig kommerzialisierte Spiele er- und überlebt. Längst aber ist das olympische Motto «citius, altius, fortius» (schneller, höher, stärker) um ein «carius» (teurer) ergänzt worden.

Russische Tradition

Die bisher teuersten Spiele von Sotschi stehen damit in guter olympischer und gleichzeitig in guter russischer Tradition. Schon die Zaren haben prächtig und mächtig gebaut, die Kommunisten ebenfalls, und Präsident Putin, der im Kommunismus gross geworden ist und das Land am liebsten wie ein Zar führen möchte, eifert dieser Tradition nach. Waren es bei den Zaren noch Paläste und bei den Kommunisten Bonzenhotels, so sind es in der heutigen Zeit Sportstadien, mit denen sich die Herrscher Denkmäler setzen wollen.

Die Plattform dazu bietet jeweils das Internationale Olympische Komitee (IOC). Wenn hinter verschlossenen Türen die Spiele vergeben werden, sprechen die Sponsoren mit. Kein Wunder geht Olympia immer häufiger in aufstrebende Schwellenländer. Nach Peking in China bieten Sotschi in Russland, Rio in Brasilien und Pyeongchang in Südkorea sicher Gewähr für gelungene Spiele, vor allem aber erschliessen sich damit neue Märkte für Sponsoren. Und das wiederum bringt mehr Gewinn für das IOC.

Grösse gehört zu Olympia

Sotschi Gigantismus vorzuwerfen, wie es im Vorfeld westliche Medien getan haben, ist scheinheilig. Vor allem, wenn gleichzeitig die Versuche, in Graubünden oder Bayern etwas kleinere Spiele zu organisieren, ebenso kritisiert werden. Grösse gehört seit jeher zu Olympia. Dass es "kleine und billige Spiele" geben wird, ist so wahrscheinlich wie ein Protestant als Papst.

Und an den Spielen von Sotschi zu kritisieren, dass ein zuvor fast unberührtes Tal neu als Sportregion erschlossen wurde, ist ebenso scheinheilig. Denn rund um das Rote Tal, Krasnaja Poljana, bleiben noch gewaltige Flächen unberührter Natur. Hätte man die Massstäbe der Journalisten vor 100 Jahren aufs Engadin angewendet, würden dort heute nur Wölfe und Bären durch die Wälder streifen, kaum aber Touristen sich auf Loipen und Pisten vergnügen.

Rote Zahlen am Schwarzen Meer?

Das IOC hat mit der Vergabe an Sotschi die Initialzündung gegeben. Sotschi hat die Olympischen Spiele als Katalysator genutzt. Ob dem Badeort am Schwarzen Meer von den Weissen Spielen mehr als rote Zahlen bleiben, wird die Zukunft weisen. Eine Basis ist gelegt, um den Badeort, der seine beste Zeit vor vielen Jahren gesehen hat, wieder zu neuem Leben zu erwecken.

Den Russen bleibt viel zu tun, wenn der Olympic Parc wie geplant zum beliebten Vergnügungs- und Ausflugsort werden soll. Sonst wird er nur für ein Formel-1-Wochenende und wenige Spiele der Fussball-WM 2018 zu einer belebten Begegnungsmeile.

Die Olympia-Karawane wird mitsamt dem Medientross weiterziehen. Auch vor den nächsten Spielen in Rio wird es im Vorfeld Kritik hageln. Wie in Sotschi wird sie verstummen, sobald es die ersten Siege zu feiern gibt.

Fast perfekte Spiele

Sotschi hat sehr vieles sehr gut gemacht und bis auf Nebensächlichkeiten hat fast alles perfekt geklappt. Bei hochstehenden Wettkämpfen auf ausgezeichneten Anlagen sind sich sportbegeisterte Menschen aus Nah und Fern näher gekommen. Sie haben Helden gefeiert und Verlierer getröstet.

Die olympische Flamme ist weder im Sumpf der Korruption noch im Cordon der Sicherheitskräfte erstickt. Sie wird in Rio von Neuem entflammen, denn für das IOC gilt unverändert: «The games must go on!» (sda)

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